Teufelsflut
mondhelle Nacht. Vor dem Hochhaus lag der große, leere Platz, über den vorhin der Streifenwagen gefahren war. Auf der anderen Seite ragte das Gebäude, das sie von oben aus gesehen hatte, in die Höhe. In keinem der Fenster brannte ein Licht. Linker Hand sah Paula einen kleinen Park mit Bäumen und Bänken und ging darauf zu, wobei sie sich so weit wie möglich im Schatten des zweiten Hochhauses hielt.
Ohne einer Menschenseele zu begegnen, erreichte Paula den Park. Dort sah sie sich um und ließ sich dann auf einer Bank nieder, von der aus sie einen guten Blick auf den Platz vor den Hochhäusern hatte. Im Licht einer nahen Straßenlaterne untersuchte sie den Inhalt ihrer Schultertasche noch einmal genauer.
Von neuem überraschte es sie, dass niemand die Tasche geöffnet hatte.
Eine Frau merkt es sofort, wenn ein Mann sich an ihrer Handtasche zu schaffen gemacht hat, ganz gleich, wie sorgfältig er dabei auch vorgehen mag. In einer speziellen Innentasche fand Paula ihren Pass und das Bargeld, das sie ständig in verschiedenen Währungen mit sich führte.
Tweed bestand darauf, dass seine Leute stets mit größeren Summen in D-Mark, Francs, Schweizer Franken und englischen Pfund ausgestattet waren. Als Paula ihr Geld zählte, sah sie eine Frau auf sich zukommen und erstarrte vor Schreck.
Es war eine alte Frau in einem schäbigen schwarzen Kleid, die vornübergebeugt mit gesenktem Kopf an ihr vorbeischlurfte und sie gar nicht wahrzunehmen schien. Paula blickte ihr hinterher, bis sie am Ende des Parks so plötzlich verschwand, als ob dort eine Treppe nach unten führte. Paula stand auf, sah sich um und lauschte in die Nacht, bevor sie der alten Frau folgte.
Einmal noch schaute sie hinauf zu den Hochhäusern, die wie Monolithen über ihr in den Himmel ragten. Allein der Anblick löste in ihr einen Anflug von Höhenangst aus. Schließlich erreichte sie eine breite Treppe, die am Ende des Parks in den Untergrund führte. Kurz blieb sie stehen und betrachtete ungläubig das große Leuchtschild über den Stufen.
Metro.
Sie war nicht in New York. Sie war in Paris.
3
Spät in der Nacht fuhren Tweed und Newman zurück nach London. Als sie in der Park Crescent ankamen, war es bereits hell. George, der früher einmal Sergeant bei der Armee gewesen war und jetzt als Portier und Wachmann beim SIS arbeitete, Heß die beiden in das Gebäude. Tweed eilte sofort hinauf in sein Büro im ersten Stock, von dem aus er einen Blick auf den Regent’s Park hatte. Hier wartete Monica, seine treue Assistentin, auf ihn. Sie war eine Frau in mittleren Jahren, die ihr graues Haar immer hochgesteckt trug. Als Tweed eintrat, sprang sie von ihrem Schreibtisch auf.
»Bin ich froh, dass Sie wieder zurück sind! Ich habe schon im Gidleigh Park angerufen, aber dort hat man mir gesagt, dass Sie bereits abgereist sind.«
»Warum wollten Sie mich sprechen? Hat es eine neue Entwicklung gegeben?«
»Wir haben um vier Uhr früh einen seltsamen Anruf bekommen.
Glücklicherweise habe ich ihn mitgeschnitten.«
»Dann spielen Sie ihn mir bitte vor.«
Tweed zog seinen Mantel aus und hängte ihn über einen Kleiderbügel an der Garderobe. Seine eiserne Selbstbeherrschung kam wieder einmal voll zum Tragen. Er bedeutete Newman, der ihm ins Büro gefolgt war, sich zu setzen, und ließ sich selbst in seinem Drehstuhl nieder.
»Es ist eine sehr merkwürdige Stimme«, sagte Monica.
»Lassen Sie uns mal hören.«
Monica drückte auf den Knopf des Kassettenrecorders, aus dessen Lautsprecher gleich darauf folgende Worte kamen:
»Mein lieber Tweed, Sie sollten auf Ihre Leute etwas besser aufpassen, sonst wird es am Ende noch zu gefährlich, für Sie zu arbeiten. Vielleicht sollten Sie sich schon mal nach einem Ersatz für die hübsche junge Dame umsehen. Beste Grüße. Goslar«
Die Stimme klang wie die eines Roboters. Jedes einzelne Wort war gleich betont und hatte einen schrillen, elektronisch verzerrten Klang. Newman kam die Stimme so vor, als käme sie direkt aus der Hölle.
»Das war’s«, sagte Monica und schaltete das Tonbandgerät aus. »Als ich die Botschaft zum ersten Mal gehört habe, habe ich es ziemlich mit der Angst zu tun bekommen.«
»Goslar benutzt ein elektronisches Gerät, um seine wirkliche Stimme zu verzerren«, sagte Tweed ruhig. »Monica, würden Sie diese Stimme für die eines Mannes oder eher für die einer Frau halten?«
»Beides wäre möglich. Auf jeden Fall klingt sie ausgesprochen unheimlich. Und was bedeutet die
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