Teufelsfrucht
Champagne gemacht hat, oder?«
Gabin schüttelte den Kopf und streckte in einer Art Offenbarungseid ihre Hände von sich. »Eigentlich wissen wir nichts. Hinzu kommt, dass er … kein sehr redseliger Typ war. Eher ein Grantler, ein einsamer Wolf. Aber er war eben auch ein guter Tester, sehr akribisch, geradezu detailversessen, mit einer profunden Kenntnis klassischer französischer Küche. Na, und weil er so zuverlässig war, haben wir ihn an einer sehr langen Leine laufen lassen.«
Als sich Valérie Gabin verabschiedete, gab sie ihm ihre Handynummer und bat ihn, sie anzurufen, sobald er etwas Neues erführe. Dann verschwand sie auf ihrem Mountainbike in der Pariser Nacht.
Kieffer lag in seinem Hotel daraufhin lange wach. Gegen vier Uhr morgens wurde ihm klar, dass er mit Boudier sprechen musste, am besten persönlich. Am besten sofort. Gegen halb fünf checkte Kieffer aus und machte sich auf den Weg zur Gare du Nord, wo es eine 24 Stunden besetzte Leihwagenstation gab.
Inzwischen war es sechs Uhr, es wurde gerade hell. Der Himmel war wolkenlos, es versprach ein prächtiger Spätsommertag zu werden. Kieffer fuhr an einer Raststätte auf den Parkplatz, kaufte sich an einem Automaten einen wässrigen café noir und zog sein Handy aus der Tasche. Kein Koch eines Sternerestaurants konnte es sich leisten, an einem Samstagmorgen länger als bis sechs Uhr zu schlafen. Und falls Boudier wider Erwarten doch noch in den Federn liegen sollte, dann würde Kieffer jetzt eben den Weckdienst spielen.
Er durchsuchte das Adressbuch seines Telefons nach Paul Boudiers Handynummer, ohne Ergebnis. Er fluchte, denn er wusste, dass er die Nummer besaß – und nun fiel ihm auch wieder ein, wo er sie hatte: Sie war mit Kugelschreiber auf eine zerknitterte Renard-Visitenkarte gekritzelt, die Kieffer mit einer Reißzwecke an der Korkwand in seinem Weinkeller befestigt hatte, neben dem Regal mit den deutschen Weißweinen.
Er musste an seinen finnischen Zechkumpan denken. Der technikbegeisterte Vatanen machte sich immer wieder darüber lustig, dass Kieffer ein »Papierfetischist« sei und seine Geschäfte immer noch ohne Buchhaltungssoftware und Smartphone erledigte.
Er versuchte es stattdessen mit der Büronummer des »Renard«, die er auswendig kannte. Gegen sieben Uhr, spätestens aber gegen halb acht würde Boudier mit einer Gitanes im Mundwinkel an seinem Schreibtisch sitzen und die erste Inventur des Tages machen: Wie viele Kilogramm Rinderfilet habe ich noch? Gibt es Rückmeldungen von meinen Lieferanten? Wie voll ist das Reservierungsbuch für heute?
Falls sich größere Gesellschaften angekündigt hatten, würde der Chefkoch möglicherweise schon jetzt vor Ort sein. Einen Versuch war es wert. Kieffer ließ das Telefon achtmal klingeln und wartete darauf, dass der Anrufbeantworter ansprang. Nichts. Er legte auf, wiederholte die Prozedur. Nach dem zwanzigsten Rufton unterbrach der Computer der Telefongesellschaft automatisch die Verbindung. Kieffer stieß einen deftigen Fluch auf Lëtzebuergesch aus und warf den halb leeren Kaffeebecher weg. Dann sprang er in den Leihwagen und startete den Motor.
Das »Renard« lag etwas südlich von Châlons-en-Champagne, an einer Flussschleife. Es gab nur zwei Möglichkeiten, das abgelegene Restaurant zu erreichen: per Auto oder per Boot. Die ehemalige Jagdhütte eines Comte aus dem 17. Jahrhundert besaß einen eigenen Anleger, und es war erstaunlich, wie viele von Boudiers betuchten Kunden diesen im Sommer tatsächlich nutzten und mit Motorjachten von der Größe eines Buckelwals zum Dinner vorfuhren.
Laufkundschaft, das wusste Kieffer aus seiner Lehrzeit, gab es im »Renard« nicht. Kaffeetrinkende Tagesausflügler hatte Boudiers edles Restaurant auch nicht nötig. Die Anziehungskraft seiner zwei Gabin-Sterne und der wunderbare, direkt an der Marne gelegene Garten zogen Gourmets aus Metz, Reims und sogar aus dem 200 Kilometer entfernten Paris an. Aus der Hauptstadt brauchte man für den Hin- und Rückweg bis zu vier Stunden – vielen Gourmets erschien solch eine Fahrzeit für ein exzellentes Dinner durchaus vertretbar. Das galt umso mehr, wenn man einen Chauffeur hatte, der einem das Fahren abnahm.
Das Navigationssystem des Mercedes brauchte Kieffer jetzt nicht mehr. Erstens war er inzwischen wieder hellwach, zweitens kannte er auf der Landstraße von Châlons-en-Champagne zum »Renard Noir« jede Kurve in- und auswendig. Zwar war es einige Zeit her, dass er das Restaurant seines
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