Teufelsfrucht
Polizist, ein grau melierter Mann Mitte vierzig: »Das mit dem Auto haben wir schon überprüft. Ihren Ausweis würden wir trotzdem gerne sehen.«
»Können Sie. Aber ich würde ungern länger im Regen stehen.«
Der Polizist nickte und bedeutete Kieffer, ihm zu folgen. Kurz darauf saßen sie in einem Polizeibus. Während die Polizistin Kieffers Personalausweis und Führerschein studierte, erklärte ihr Kollege: »Ich bin Commissaire Pierre Vascaud, Police Judiciaire. Das Restaurant Ihres Freundes ist abgebrannt, in der späten Nacht auf Dienstag, so gegen vier Uhr morgens.«
Das war vor vier Tagen gewesen; am Dienstagabend hatte Ricard Kieffers Restaurant besucht. »Es wurde völlig zerstört«, fuhr der Kommissar fort, »die Feuerwehr konnte nur noch verhindern, dass der umliegende Wald in Flammen aufgeht.«
»Ist denn jemand zu Schaden gekommen, Commissaire?«
»Die Spurensicherung hat keine Leichen gefunden. Aber das heißt nichts. Manchmal findet man Opfer erst später, wenn der Schutt beiseitegeräumt wird.«
»Um diese Zeit war mit ziemlicher Sicherheit niemand im Restaurant.«
»Wieso nicht? Wie kommen Sie darauf?«
»Ich habe sieben Jahre dort gearbeitet.«
»Interessant. Wann war das?«
»1986 bis 1993. Erst als Lehrling, dann als Postenchef.«
»Das heißt, Sie kannten Monsieur Boudier sehr gut, ja? Dann können Sie uns sicherlich einen Hinweis geben, wo er sich aufhalten könnte?«
Kieffer schüttelte den Kopf.
»Er ist nämlich seit der Brandnacht verschwunden, und wenn es stimmt, was Sie sagen, dann können wir mit ziemlicher Sicherheit ausschließen, dass er bei dem Feuer zu Tode gekommen ist.«
»Früher hatte er eine Wohnung, südlich von hier, in …«
»Da waren wir bereits«, schnitt ihm Vascaud das Wort ab. »Und dort ist er nicht. Es sieht so aus, als hätte sich Ihr Freund, der Sternekoch, in der Nacht auf Dienstag aus dem Staub gemacht. Deshalb meine Frage an Sie, Monsieur Kieffer, der Sie nach eigenen Angaben doch ein enger Weggefährte von Maître Boudier sind: Wohin könnte er geflohen sein? Ins Ausland? Oder hat er vielleicht ein Häuschen, irgendwo à la campagne?«
»Geflohen? Sie meinen …«
»… dass er den Brand gelegt hat? Vieles spricht dafür.«
»Das ist doch absurd. Wieso sollte einer von Frankreichs angesehensten Köchen sein eigenes Restaurant abfackeln?«
Vascaud schaute auf seinen Karoblock, den er während des Verhörs mit Kringeln und Quadraten zu füllen begonnen hatte. »So etwas passiert öfter, als Sie vielleicht denken. Und wenn er das Feuer nicht gelegt hat, warum ist er dann verschwunden?«
Kieffer schüttelte den Kopf. »Commissaire, Ihre Theorie leuchtet mir nicht ein. Die logischste Begründung ist doch wohl, dass Paul Boudier selbst das Opfer eines Verbrechens geworden ist.« In dem Moment, in dem er den Satz ausgesprochen hatte, verfluchte der Luxemburger sich innerlich. Bisher hatten die beiden Polizisten offenbar keine Ahnung, warum er wirklich hier weilte – und dass er Zeuge des Mordes an einem Gastrokritiker war, der wenige Stunden vor dem Brand im »Renard« gespeist hatte.
Vascaud hatte ihn provoziert und aus der Reserve gelockt. Der Polizist lächelte. »Das müssen Sie mir jetzt aber schon genauer erklären, Monsieur Kieffer. Wer könnte es denn auf Boudier abgesehen haben?«
»Ich weiß es nicht, Commissaire. Spitzenküche ist ein harter Wettbewerb. Da gibt es dauernd Anfeindungen und Eitelkeiten. Postenköche und Servicekräfte werden von den Chefs häufig wie Leibeigene behandelt. Insofern ist es denkbar, dass jemand einen Groll gegen ihn hegte.«
»Wie war Boudier denn als Chef?«
Kieffer missfiel es, dass der PJ -Mann von seinem Ziehvater bereits in der Vergangenheitsform sprach. »Er ist ein Autokrat. Niemand, der Widerspruch duldet.«
»Hat er Sie schlecht behandelt?«
»Manchmal, ja, aber ich hatte keinen Grund, ihm etwas anzutun. Das ist schließlich über 15 Jahre her. Und außerdem bin ich lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass es gar nicht anders geht. Auf solch hohem Niveau zu kochen, jeden Abend – dafür sind Disziplin und klare Befehlsstrukturen unerlässlich.«
Das schien dem Mann von der Staatspolizei einzuleuchten. »Nun gut, Monsieur Kieffer. Sie können jetzt gehen. Es wäre jedoch sehr freundlich, wenn Sie uns eine Nummer hinterlassen würden, unter der wir Sie erreichen können.«
Kieffer gab dem Kommissar seine Handynummer und ging zurück zum Auto. Nachdem er die Nationalstraße erreicht
Weitere Kostenlose Bücher