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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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hatte, war sein erster Impuls, mit dem Mietwagen direkt zurück nach Luxemburg zu fahren. Das war zwar ein teurer Spaß, aber er wollte nach Hause. Stattdessen bog er nach rechts ab, Richtung Saint-Martin-aux-Champs, wo Boudier wohnte. Gewohnt hatte. War Paul tot? Untergetaucht? Hatte er etwas mit dem Mord an Ricard zu tun? Oder war er selbst einem Verbrechen zum Opfer gefallen?
    Kurz vor der Ortschaft hielt Kieffer an einem kleinen Landgasthof, der etwas versteckt abseits der Straße lag. Dort aß er eine Kleinigkeit, obzwar er keinen echten Hunger verspürte. Dabei beobachtete er vom Restaurant aus den Zufahrtsweg. Es war durchaus denkbar, dass die Polizei ihm folgte. Und was er als Nächstes vorhatte, erforderte Diskretion.

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    9
    Kieffer saß in dem Zimmer, das er kurz entschlossen in dem Landgasthof gemietet hatte, und sah aus dem Fenster. Es hatte sich eingeregnet und die Maisfelder verschwanden hinter grauen Schlieren. »Hat Boudier vielleicht ein Haus à la campagne?«, hatte Vascaud ihn gefragt – und es war Kieffer in jenem Moment nicht leichtgefallen, ruhig zu bleiben.
    Boudier hatte tatsächlich früher einmal ein Landhaus im Luberon besessen, das nach seiner Scheidung vor einigen Jahren aber an Madame Boudier gefallen war. Seitdem hatte Kieffers Mentor keine Zweitwohnung mehr gehabt – wohl aber eine Art Geheimversteck. In Saint Martin hatte Boudier vor langer Zeit ein kleines Bistro betrieben, bevor er vor über 20 Jahren das »Renard« eröffnete. Schankraum und Esszimmer des Bistros wurden seitdem nicht mehr genutzt, und offiziell galt das Lokal als leer stehend. In Wahrheit benutzte Boudier die Küche des Etablissements aber weiterhin als Kochlabor.
    Wie viele Spitzenköche ließ sich Paul Boudier bei seinen Experimenten ungern in die Töpfe schauen; niemals hätte er, wie Kieffer wusste, eine neue Idee in der Küche seines Waldschlösschens ausprobiert, wo nie Ruhe herrschte und ihm stets ein halbes Dutzend neugieriger Postenköche über die Schulter schaute, nur darauf aus, die jüngste Kreation des Großmeisters zu kopieren und gegen einen Judaslohn an die Konkurrenz zu verschachern. Zumindest glaubte Boudier, dass dies der Fall war. Deshalb hatte er sein Bistro, ein sanctum sanctorum, dessen Existenz er geheim hielt.
    Dort wollte Kieffer sich heute Abend ein wenig umsehen. Der Kommissar hatte das Bistro nicht erwähnt, und Kieffer war sich ziemlich sicher, dass es außer ihm nur ganz wenige Menschen gab, die von Boudiers kleinem Küchenlabor wussten. Als ehemaliger Postenchef des »Renard« hatte er Kenntnis von dem Bistro gehabt; er schätzte, dass bestenfalls noch zwei oder drei Lieferanten ahnten, dass Boudier dort arbeitete, und vielleicht noch der aktuelle Souschef. Oder vielleicht auch nicht.
    Kieffer erinnerte sich an die seltsame vietnamesische Frucht und an Boudiers Heimlichtuerei bei ihrem letzten Treffen. Der Alte war in den vergangenen Jahren immer paranoider und verschlossener geworden.
    Gegen 23 Uhr verließ Kieffer sein Zimmer und fuhr in Richtung Saint Martin. Der Regen hatte inzwischen aufgehört. Kieffer parkte hinter der Dorfkapelle und ging den etwa einen halben Kilometer langen Weg bis zu seinem Ziel zu Fuß. Er wollte auf Nummer sicher gehen – wenn sich ein neugieriger Einheimischer das Kennzeichen des Mercedes notierte, könnte er später Ärger bekommen.
    Kieffer begegnete keiner Menschenseele. Das winzige Dörfchen war bereits geschlossen zu Bett gegangen. Er erreichte das Bistro. Die Fenster waren mit Holzplattenverrammelt, die Tür mit einer schweren Eisenkette verschlossen. Über dem Eingang stand auf einem dunkelgrünen Holzschild in kaum noch lesbaren blattgoldenen Lettern: »La Tanière du Renard«. Der Fuchsbau.
    Kieffer vergewisserte sich, dass die Straße wirklich menschenleer war, und ging dann um das Haus herum. Die Hintertür war erwartungsgemäß verschlossen. Er zündete ein Streichholz an und musterte den Boden links von der Tür, bis er fand, wonach er suchte. Verborgen unter einigen Gartengeräten, einer Schubkarre und etwas Laub befand sich eine Falltür, über die man Vorräte in den Kellerraum schaffen konnte.
    Kieffer räumte das Gerümpel so leise wie möglich beiseite und stieg hinab in den dunklen Keller. Er verfluchte sich, weil er keine Taschenlampe mitgenommen hatte. Im Untergeschoss roch es feucht und muffig, Spinnweben streiften seine Wange. Er entzündete ein weiteres Streichholz. Neben allerlei Gerümpel sah er mehrere verstaubte

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