Teufelsfrucht
Holzkisten mit der Aufschrift »Chateau Figeac« – Wein aus Bordeaux.
Das Streichholz begann zu flackern. Rasch wandte Kieffer sich nach rechts, wo sich nach seiner Erinnerung der Aufgang ins Erdgeschoss befinden musste. Mithilfe seiner letzten beiden Zündhölzer schaffte er es bis in den Gastraum. Hinter der Bar fand Kieffer Kerzen. Er zündete eine an und klebte sie mit etwas flüssigem Wachs auf den zinc, den verzinkten Tresen.
Der Schankraum wies die schnörkellose Standardausstattung eines ländlichen Bistros auf. Acht rechteckige Tische mit schiefergrünen Resopalplatten standen im Raum verteilt, die abgenutzten Holzstühle waren kopfüber darauf platziert. An der Wand hingen zwei Emailletafeln. Die eine bewarb einen Pastis der Marke Pernod, die andere war eine alte Tabakwerbung und verkündete: »Je ne fume que les Gitanes.« Die bernsteinfarbenen Wände dokumentierten, dass die Gäste des Lokals zu ihren petit noirs und Aperitifs über die Jahre hinweg die Ernte einer ganzen Tabakplantage hatten in Rauch aufgehen lassen.
Kieffer öffnete alle Schubladen unter dem Tresen und durchwühlte danach den kleinen Vorratsraum, der sich hinter dem zinc befand. Dort stapelten sich Putzmittel und abgelaufene Konserven. Er fand nichts Interessantes, abgesehen von einer Stange Gitanes, die noch recht neu aussah und nicht wie alles andere mit Staub bedeckt war. Boudiers Marke.
Kieffer nahm sich eine Zigarette, griff nach der Kerze und ging zu der Treppe, die ins Obergeschoss führte. Er hatte eigentlich auch nicht erwartet, im Erdgeschoss etwas zu finden, was ihm weiterhalf. Er wollte lediglich sichergehen, dass er nichts übersah. Wenn Boudier in letzter Zeit im Fuchsbau gewesen sein sollte, dann hatte er zweifelsohne die meiste Zeit in seiner Experimentalküche im ersten Stock verbracht. Wenn es hier irgendwo einen Hinweis auf das Verschwinden seines Ziehvaters gäbe, dann vermutlich dort.
Als er die Treppe emporstieg, zählte er im Kopf die Stufen mit. Auf der achten hielt er inne, bückte sich und fuhr mit dem Zeigefinger unter den abgewetzten Treppenläufer. Kieffer atmete erleichtert auf, als er den Sicherheitsschlüssel ertastete, der früher stets dort gelegen hatte und immer noch an seinem Platz war. Ohne den Schlüssel wäre der weitere Weg schwierig geworden.
Am Kopf der Treppe befand sich eine Brandschutztür mit einem Sicherheitsschloss. Kieffer stellte seine Kerze auf einem der Treppenpfosten ab und schloss auf. Quietschend öffnete sich die Tür. Sobald er eingetreten war und sie wieder geschlossen hatte, drückte er auf den Lichtschalter. Im Schankraum hatte er sich nicht getraut, die Lampen einzuschalten, weil man dies von draußen unter Umständen hätte sehen können. Hier oben, in der, wie er wusste, völlig fensterlosen Küche, war diese Vorsichtsmaßnahme überflüssig.
Kieffer kniff die Augen zusammen, als das Neonlicht brutal aufflammte, und wartete, bis er sich halbwegs an die gleißende Helligkeit gewöhnt hatte. Die etwa 25 Quadratmeter große Küche des »Tanière du Renard« bestand aus einer Kochzeile in der Mitte und einer den ganzen Raum umlaufenden Anrichte mit mehreren Waschbecken und zahlreichen Schränken. Wer das schäbige Bistro von außen sah, würde nie vermuten, dass sich im Inneren eine dermaßen gut ausgestattete Küche verbarg.
Boudier hatte mehrfach neue Geräte einbauen lassen, nichts Extravagantes, aber alles solide. Von einem Induktionsherd über mehrere Öfen bis zu einem Salamander und diversen Grills war alles vorhanden, was ein Profikoch benötigte. Kieffer ging im Uhrzeigersinn an der Wand entlang und schaute in alle Schränke. Er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Die Edelstahloberflächen waren blitzblank, nur der Küchenboden klebte ein wenig. Als er am Kopfende des Raums angekommen war, fiel sein Blick auf den Herd und die Arbeitsplatte in der Mitte des Raums.
Hier hatte vor nicht allzu langer Zeit jemand gekocht. Auf dem Herd standen zwei Töpfe und eine Pfanne, einige Messer und ein Stapel karierter torchons aus Leinen lagen daneben. Was jedoch mehr als alles andere Kieffers Aufmerksamkeit auf sich zog, war die mise en place. Sie war unverkennbar Boudiers, und es hätte genauso gut seine eigene sein können: Die chiffonade stand ganz unten rechts, damit man sie mit einem lockeren Schwung über den links abgestellten Teller werfen konnte; der Noilly Prat stand zwischen Weiß- und Rotwein – alles war immer noch exakt so angeordnet, wie Kieffer es
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