Teufelsfrucht
theoretisch auch, aber wir beschäftigen uns eher mit reverse engineering. Wir nehmen die durchdesignten Lebensmittel wieder auseinander. Zu Forschungszwecken. Und um zu erfahren, was in so einer Tiefkühlpizza wirklich drin ist.«
»Ich bin dir sehr dankbar für deine Hilfe, Klaus, und ich will nicht unverschämt wirken, aber …«
»… wann es Ergebnisse gibt?«
»Das war meine Frage, ja.«
»Morgen wird die Sortenbestimmung fertig – wobeidas Ergebnis, wie bereits angedeutet, zu 99 Prozent ›unbekannte Frucht‹ lauten wird. Dann kommen die richtigen Tests. In drei Wochen wissen wir mehr.«
Drei Wochen. Kieffer sackte innerlich in sich zusammen. Scheuerle sah es ihm offenbar an. »Sorry, aber schneller geht es nicht. Sonst fällt’s auf. Ich habe hier zwar eine gewisse Narrenfreiheit, aber ich kann nicht das gesamte karpologische Institut zur Erforschung eurer Mango vom Mars abstellen. Dazu sind wir personell zu schlecht ausgestattet. Dann träte mir der Präsident auf die Zehen. Also müssen wir ein bisschen aufpassen.«
Scheuerle begleitete sie zurück zum Empfang und versprach, sich so bald als möglich zu melden. Dann stiegen sie ins Auto und fuhren zurück nach Luxemburg. Auf der Rückfahrt sagte Vatanen: »Der alte Obstsammler ist Feuer und Flamme.«
»Findest du? Ich hatte fast den Eindruck, wir waren ihm ein bisschen lästig.«
»Oh nein, der ist immer so. Wenn er das alles für Quatsch hielte, hätte er uns schon nach zwei Minuten hinauskomplimentiert.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich drei Wochen warten möchte, Pekka.«
»Helvetti, was willst du denn noch alles tun? Du hast doch schon alle abgeklappert. Warst bei Gabin, bei Boudier, und ein Max-Planck-Institut arbeitet seit eben für dich. Und dann ist da ja auch noch die Luxemburger Polizei. Was machen die eigentlich für ihr Geld?«
»Keine Ahnung, Pekka, die haben sich nicht mehr bei mir gemeldet. Aber es gibt noch eine weitere Informationsquelle. Eine Möglichkeit, die ich schon viel früherhätte in Betracht ziehen sollen. Aber ich habe es bisher vermieden, auch nur darüber nachzudenken.«
»Und die wäre?«
»Ich muss mit Esteban sprechen.«
»Wer ist Esteban?«
»Leonardo Esteban, der Fernsehkoch. Du hast bestimmt schon von ihm gehört.«
»Ja, natürlich habe ich das. Meine Büronachbarin schwört auf seine Kochbücher. Und den kennst du persönlich?«
Kieffer atmete tief aus und lehnte sich zurück. »Oh ja. Leider sogar ziemlich gut.«
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15
Schon beim Gedanken an seinen ehemaligen Kollegen Leonardo Gutierrez Esteban bekam Kieffer für gewöhnlich schlechte Laune. Die Vorstellung, mit dem Mann von Angesicht zu Angesicht stehen zu müssen, gar freundlich zu ihm zu sein, versetzte ihn umgehend in Rage.
Sie waren zu dritt gewesen, als sie Mitte der Achtziger ihre Lehre bei Boudier begannen: Kieffer, Esteban und der glücklose Paul Perrain. Ihr Chef hatte sie oft »meine drei Musketiere« genannt, halb im Scherz, halb als Zeichen der Anerkennung.
Zwar beschäftigte der frisch gekürte Sternekoch damals bereits eine Armee von entremetiers, potagiers, aboyeurs, aides de cuisine und chefs de parties. Doch Boudier hatte schnell erfasst, dass seine drei jungen commis de cuisine etwas Besonderes waren, jeder auf seine Weise.
Kieffer selbst zauberte bereits im ersten Lehrjahr bessere Soßen und Fonds, als die meisten altgestandenen sauciers je zustande bringen würden; Perrain besaß ein beinahe mystisches Gespür für Süßspeisen, das ihn als geborenen pâtissier erscheinen ließ. Und Esteban? Seinekulinarischen Talente waren nach Ansicht Kieffers stets äußerst überschaubar gewesen. Aber Esteban besaß ein phänomenales Organisationstalent und die notwendige Portion Rücksichtslosigkeit, die mitunter erforderlich war, um Vorhaben trotz aller Widerstände und Widrigkeiten durchzusetzen.
Wenn die Bestellungen wie Granaten einschlugen, wenn einem der gesamte Küchenablauf um die Ohren zu fliegen drohte, dann konnte jemand wie Esteban einem das Leben retten. Er eilte, wilde Flüche in mehreren Sprachen ausstoßend, von Posten zu Posten, instruierte die Köche, prüfte die Listen eingegangener und überfälliger Bestellungen, befahl Wendemanöver und leitete Rettungsmaßnahmen ein.
Während Esteban all das tat, ruderte er drohend mit den Armen und verlieh seinen stets in enormer Lautstärke gebellten Befehlen mit einem hölzernen Kochlöffel Nachdruck, den er erbarmungslos auf Häupter, Rücken und Unterarme allzu
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