Teufelsfrucht
begriffsstutziger Küchenkräfte niedersausen ließ.
Esteban war hochgewachsen, fast zwei Meter groß, mit irre funkelnden blauen Augen und einer ungebändigten schwarzen Mähne. Wie ein Derwisch wirbelte er zwischen brodelnden Töpfen umher und setzte die Anweisungen seines Herren mit gnadenloser Grausamkeit durch. Und irgendwie schaffte er es, währenddessen auch noch zu telefonieren und säumigen Lieferanten absurde Drohungen entgegenzuschleudern.
Es fehlten einige Pfund Lammcarré oder ein Sack Schalotten? Esteban forderte ihre unverzügliche Anlieferung, binnen zehn Minuten. »Ansonsten rott ich dich aus«, war eine der Standarddrohungen, die er in den Hörer brüllte. »Ich rott dich aus und deine ganze Familie gleich mit, ich mach aus deiner Tochter Frikassee!«
Mit diesem Wahnsinnigen hatte Kieffer mehrere Jahre seines Lebens auf engstem Raum verbracht. Er hatte gehofft, nie wieder mit Leonardo sprechen zu müssen. Aber nun ließ es sich nicht vermeiden.
Am Freitagmorgen setzte sich Kieffer in seinen Wagen und fuhr Richtung Deutschland. Bei Trier bog er in Richtung Bitburg ab. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass der am wenigsten Talentierte von Boudiers Musketieren zum von den Medien gefeierten Starkoch avanciert war.
Ihm selbst war der Stress der Sterneküche zu viel geworden, er hatte sich nach Luxemburg zurückgezogen und kochte lieber in Ruhe Reíhämmchen und Kanéngche mat Moschterzooss. Paul Perrain, ein Südfranzose, hatte in Paris nach seiner Lehre ein Restaurant und eine noble Konditorei eröffnet, die schnell mehrere Patisserie-Preise einheimste. Bald besaß Perrain mehrere Filialen, doch als Manager seines Zuckerbäcker-Imperiums verhedderte er sich hoffnungslos. Nach vier Jahren war er pleite und warf sich vor einen TGV .
Leonardo Gutierrez Esteban hingegen hatte es ganz nach oben geschafft. Er moderierte im französischen Fernsehen zur besten Sendezeit am Samstagabend seine eigene Kochshow. Esteban hatte einen italienischen Vater und eine argentinische Mutter – kulinarisch keine uninteressante Kombination, wenn man sie dem Publikum richtig verkaufte, was ihm mühelos gelang. Sobald die Kamera lief, verschwand Estebans cholerische Seite völlig; stattdessen ließ er seinen südamerikanischen Charme spielen und vermittelte den Zuschauerndas Gefühl, er koche nur für sie. Er gab den perfekten TV -Koch ab.
Perrain hatte Kieffer einst folgenden Witz erzählt: »Wie begeht ein Argentinier Selbstmord? Er klettert einfach auf sein Ego und springt runter.« Das Vorurteil passte auf keinen besser als auf Esteban. Es fiel dem geltungssüchtigen, selbstverliebten Koch auch deshalb so leicht, sich den Medien als Gottes Geschenk an die Gastronomie zu präsentieren, weil er sich selbst dafür hielt.
»Dabei kann der Idiot überhaupt nicht kochen«, knurrte Kieffer zu sich selbst. Trotz oder vielleicht wegen seiner immensen Abneigung gegen Esteban hatte er den Aufstieg seines ehemaligen Mitlehrlings genauestens verfolgt, wenn auch mit wachsender Fassungslosigkeit.
Nach seiner Lehre war Esteban zunächst Souschef im »Renard Noir« gewesen und hatte dort, ausgestattet mit der Machtfülle eines Vizechefs der Küche, ein beispielloses Terrorregime errichtet. Hinter seinem Rücken nannten ihn die anderen Angestellten »Pinochet«. Kieffer war sich sicher, dass Esteban auf den Vergleich mit dem chilenischen Diktator sogar stolz gewesen wäre, hätte er je davon erfahren.
Dann heiratete Esteban eine Deutsche, Susanne von Ritterdorf. Er hatte sie beim Polo kennengelernt. Sie war weder besonders hübsch noch sonst irgendwie bemerkenswert. Allerdings war die Adlige Alleinerbin eines in der Südeifel gelegenen Brauereiimperiums, was den aus einer nur mittelmäßig begüterten Cowboy-Familie stammenden Esteban auf einen Schlag in die finanzielle Oberliga katapultierte. Außerdem verschaffte die Vermählung dem Italo-Argentinier einen Adelstitel. Fortanfirmierte er als Leonardo Esteban von Ritterdorf und wurde in der Klatschpresse als »Pampa-Prinz« rasch eine feste Größe.
Derart prächtig mit Titeln und Pfründen ausgestattet, konnte Esteban aus dem Vollen schöpfen. Er eröffnete ein Restaurant namens »La Revolución« in der Nähe von Bitburg. Seinen Mangel an gastronomischen Ideen und kulinarischer Finesse kompensierte er, indem er eine Armada talentierter Köche aus anderen Restaurants abwarb. Ein ehemaliger poissonnier Estebans hatte Kieffer erzählt, dass das »Revolución« doppelt so
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