Teufelsfrucht
den ganzen Krempel einpacken lassen.«
»Hast du Kopien gemacht?«
»Von seiner Festplatte. Aber viel interessanter sind zwei von Ricards E-Mails, die ich nach seinem Tod bekommen habe.«
»Nach seinem Tod? Das verstehe ich nicht.«
»Zwei Tage nach Ricards Tod hab ich unsere EDV -Abteilung angewiesen, seinen Account auf meine Adresse umzuleiten – wegen Mails, die da vielleicht ankommen. Ich wollte nicht, dass etwas im Orkus landet. Das war am vorletzten Donnerstag. Und etwas später bekam ich dann dieses Transkript von Ricards Rechercheprotokoll.«
»Wer hat dir das geschickt?«
»Eine Firma namens Valedictum, aus den USA . Die bieten einen Internetdienst an, der funktioniert so: Du rufstüber dein Telefon eine lokale Nummer an – die haben für jedes Land eine – und sprichst auf eine Voicebox. Das wird dann auf einem Server gespeichert. Kannst du mir so weit folgen?«
»Halbwegs. Ich habe es nicht so mit diesem ganzen Computerzeugs.«
»Dacht ich mir schon. Aber es ist eigentlich ganz simpel. Ist im Prinzip eine elektronische Tippse. Du quatschst auf die Box, dann dauert es ein bisschen und irgendwann bekommst du deine Sprachnotizen als Textdatei, per E-Mail. Hast du dein Handy dabei?«
Er reichte es ihr.
Belustigt betrachtete sie das klobige Gerät. »Mein Gott, ist das alt.« Dann tippte sie eine Nummer ein und zeigte ihm das Display. Eine Pariser Vorwahl. Valérie drückte die Wahltaste und gab ihm das Gerät zurück.
Kieffer hielt das Handy an sein Ohr. »Welcome to Valedictum«, sagte eine amerikanisch klingende Stimme vom Band. »Please start dictating now. Hang up to send your file.« Er unterbrach die Verbindung und schüttelte den Kopf.
»Wieso hat Ricard keinen Block benutzt wie normale Menschen?«
»Ach, Xavier, weil’s so viel praktischer ist. Er besucht 200 Restaurants im Jahr, mindestens. Auf diese Weise hatte er alle seine Berichte gleich fein säuberlich geordnet im Rechner, ohne sie noch einmal abtippen zu müssen. Und er konnte von überall mit seinem Laptop darauf zugreifen.«
»Wer erstellt denn diese Transkripte eigentlich? Ein Computer?«
Valérie schüttelte den Kopf. »Fleißige Typistinnen, irgendwo in Indien, Vietnam, Polen – je nachdem, in welcher Sprache die Audiodateien sind. Kostet nur ein paar Centimes.«
»Und was stand drin?«
Sie griff nach ihrem Laptop und rückte ihren Stuhl neben Kieffers, sodass ihr Arm den seinen streifte. »Lies selbst. Aber auf meinem Rechner, denn ich möchte nur ungern Ausdrucke weitergeben. Ich weiß nicht, ob die PJ das so gut fände – die hab ich übrigens noch nicht darüber informiert, mach ich nachher.« Sie klickte ein paarmal und schob dann ihren Macintosh zu ihm hinüber. Ihren Stuhl rückte sie nicht wieder zurück.
Auf dem Computer war eine Textdatei geöffnet:
Valedictum Transcript / 05-09-2009 / 15:44
Notizen Mittagessen, Renard Noir, Chalons.
Nach Hinweisen auf gravierende Qualitätsverschlechterung Stichprobe im Renard. Mittagsmenü uninteressant, stattdessen à la carte. Menüfolge soupe de lièvre copeaux châtaignes et ravioles foie gras, selle d’agneau de l’Aveyron als Hauptgang, Dessert réglisse caramélisée.
Lakritznachspeise albern, Sommelier empfahl seltsame Weine. Aber Hauptgang und Vorspeise sensationell! Vorschlag an Ressortleiter, gehört auf Watchlist für weiteren Stern; kann keinen Qualitätsverfall feststellen, im Gegenteil. Lammrücken von perfekter Konsistenz und unglaublichem Aroma. Suppe vom Wildhasen Geniestreich.
Valedictum Transcript / 05-09-2009 / 17:03
Nachtrag Renard.
Übler Patzer. Mit Boudier gesprochen – wusste, wer ich bin, Leugnen zwecklos. Habe ihn nach dem Rezept für die Lammkruste gefragt, der Hund schweigt eisern, sagte lediglich, er bringe einige neuartige Gewürze aus Asien zum Einsatz.
Wollte meine nächsten Stationen wissen. Habe lediglich durchblicken lassen, dass ich Luxemburg abgrasen muss. Hat mir daraufhin eine Visitenkarte aufgedrängt, von einem Gasthof, den einer seiner Schüler betreibt. Geheimtipp. Chefredaktion über Patzer informieren? Besser nicht.
Kieffer schloss das Dateifenster und lehnte sich zurück. »Das heißt also, Boudier hat Agathon Ricard die Visitenkarte des ›Deux Eglises‹ gegeben, die dann die Polizei in seinem Auto gefunden hat. Aber warum nur?«
»Vielleicht hat er geglaubt, er tut dir einen Gefallen, wenn er uns auf dein Restaurant aufmerksam macht.«
»Das würde zu Boudier passen«, sagte Kieffer und nickte
Weitere Kostenlose Bücher