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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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nächsten Tag ein Bierfleisch mit frittierten Selleriescheiben. In seiner persönlichen Variante dieses Rezepts wurde der Rinderbraten bereits einen Tag vor der Zubereitung in Bofferdinger Hausbéier mariniert, einem süßlichen, malzigen Bier. Er packte mehrere Wadenstücke zusammen mit Zwiebeln, Knoblauch, Karotten und etwas Kümmel in eine Metallwanne. Dann legte er ein großes Schneidebrett auf den Behälter und beschwerte es mit einer gusseisernen Pfanne.
    Danach genehmigte er sich eine Ducal. Er hatte das Gefühl, dass er sich in einer Sackgasse befand. Das Gespräch mit Valérie Gabin hatte mehr Fragen aufgeworfen, als es beantwortet hatte; das Gleiche galt für Scheuerles Ausführungen. Um weitere Details über die mysteriöse Frucht oder die Todesumstände Ricards zu erfahren, müsste er entweder mit Keitel oder Boudier sprechen, die beide unauffindbar waren.
    Sein Handy klingelte. Es war Vatanen. »Xavier, du musst mir helfen. Es ist etwas Schreckliches passiert.«
    »Was ist denn los, Pekka? Wo bist du?«
    »Ich bin im Büro.«
    »An einem Sonntag? Seit wann arbeiten Beamte an Feiertagen?«
    »Das ist ja gerade das Schreckliche. Wir haben Montag eine Deadline wegen einiger Agrarstatistiken der Mitgliedstaaten, die morgen Abend nach Brüssel müssen, für eine Sitzung des zuständigen Parlamentsausschusses. Und meine Sekretärin hat mir die Unterlagen nicht rechtzeitig weitergeleitet – die lagen zwei Wochen lang in irgendeiner Kiste herum. Jetzt muss ich das alles bis morgen früh in den Computer kloppen. Wird eine lange Nacht.«
    »Äh, und wie genau kann ich dir dabei helfen?«
    »Ich verhungere, Xavier. Es ist Sonntag! Die Kantine hat natürlich zu, wie auch sämtliche Restaurants im Europaviertel. Da haben am Nordpol mehr Läden geöffnet.«
    »Ich soll also den Pizzaservice spielen? Na gut. Ich mach dir ein Fresspaket fertig und komme kurz vorbei.« Bei der Gelegenheit, dachte sich Kieffer, könnte er mitVatanen zumindest kurz noch mal über den Stand seiner Privatermittlungen sprechen.
    »Fantastisch! Du bist ein wahrer Freund. Ach ja und … Xavier?«
    »Was denn?«
    »Schnür doch bitte ein großes Fresspaket. Und eine gute Flasche Wein könnte auch nicht schaden. Wir sind nämlich zu zweit.« Dann legte er auf.
    Kieffer ging in die Speisekammer und verschaffte sich kurz einen Überblick über seine Vorräte. Dann packte er zwei Flaschen Rivaner, ein Stück seines pâté de la maison, eine Auswahl verschiedener Käse sowie Brot und Butter in einen geflochtenen Weidenkorb. In der Küche füllte er etwas von der für den Abend vorbereiteten Kürbiscremesuppe in eine Tupperschüssel. Dann briet er einige vorgegarte Hühnerschlegel kurz mit Thymian und Butterschmalz an und wickelte sie in ein Stück Alufolie. Zum Schluss legte er noch eine halbe Mummentaart dazu. Dann fuhr er auf den Kirchberg.
    Das Europa- und Bankenviertel, das sich über etwa zwei Kilometer rechts und links der sechsspurigen Avenue J. F. Kennedy erstreckte, war völlig ausgestorben. Die Ausländer, die hier arbeiteten, suchten Freitagnachmittag das Weite und tauchten erst am Montagmorgen wieder auf. Die Einheimischen mieden den Kirchberg. Das war nachvollziehbar, denn außer einem großen Supermarkt und einem hässlichen Multiplexkino gab es hier nichts zu sehen. Kieffer selbst hielt das ganze Kirchberg-Viertel einerseits für ein seelenloses Retortenprojekt – andererseits war er ganz froh darüber, dass die Heerscharen von Eurokraten und Investmentbankern so außerhalb der eigentlichen Stadt blieben. Der kleine Luxemburger Stadtkern würde eine solche große Zahl von Büros und Spesenrittern seiner Ansicht nach nicht verkraften. Kieffer parkte an der Avenue Kennedy und spazierte dann zum Robert-Schuman-Gebäude hinüber, einem heruntergekommenen Zweckbau aus den Siebzigern.
    Am Empfang bekam er einen Gästeausweis ausgestellt und fuhr dann in den achten Stock. Vatanen schien der Einzige zu sein, der an diesem Sonntag Überstunden machte – die Gänge waren menschenleer, nicht einmal das Deckenlicht war angeschaltet.
    Er fand Vatanen in dessen Büro. Auf dem Boden standen mehrere große Blechkisten, die allesamt mit handschriftlich ausgefüllten Formularen vollgestopft waren. Neben einer der Kisten kniete eine junge Frau und durchwühlte einen Papierstapel.
    Vatanen klatschte in die Hände, als er den Koch sah. »Xavier, du bist unser Retter. Wir ernähren uns seit heute Morgen acht Uhr von Schokoriegeln und Automatenkaffee.«

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