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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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die Kugel hinter ihm von der Felswand abprallte.
    Er bekam kaum noch Luft, seine Lungen brannten. Pekka Vatanen behauptete stets, die zwei Schachteln Ducal am Tag brächten ihn irgendwann um. Es sah so aus, als könnte der Finne recht behalten. Kieffer glaubte nicht, dass er dieses Tempo noch lange würde durchhalten können. Er hastete auf einen der Galeriegänge zu und blickte direkt auf die Kierch Saint Jean. Hinter ihm wurden die Schritte lauter. Seinem Blickwinkel auf die Umgebung nach zu urteilen, musste es sich um einen der unteren Wehrgänge handeln. Wenn er sich richtig erinnerte, befanden sich an dieser Stelle dichte, mehrere Meter hohe Büsche, die auf dem schmalen Streifen zwischen Bock und Alzette wuchsen. Kieffer verlangsamte seinen Schritt nicht, als er auf die hüfthohe Wehrmauer zulief, sondern beschleunigte sogar noch. Er stemmte die rechte Hand auf den Sims und sprang.
    Äste peitschten ihm durchs Gesicht, als sich sein schwerer Körper einen Weg durch Gehölz und Blätterwerk bahnte. Er bekam einen Ast zu fassen, spürte einen Ruck, gefolgt von einem reißenden Schmerz in der rechten Schulter, der ihn zum Loslassen zwang. Immerhin hatte das unglückliche Bremsmanöver seine Geschwindigkeit deutlich gemindert. Kieffer schlug zwar hart auf dem Boden auf, und alle Luft wich aus seinen Lungen. Doch zumindest schien er sich nichts gebrochen zu haben. Ächzend stemmte er sich hoch und rannte den schmalen Uferweg entlang. Er riskierte einen Blick zurück und sah seinen Verfolger an der Bockwand hängen. Gilbert, falls dies sein richtiger Name war, überlegte wohl noch, wie er auf die etliche Meter unter ihm befindliche Uferböschung gelangen sollte, ohne sich den Hals zu brechen. Wenn es nach Kieffer ging, konnte sich der Franzose für seine Entscheidung alle Zeit der Welt nehmen. Kieffer hingegen hatte sein Ziel fest vor Augen: Er wollte zum Aufzug.
    Der Lift befand sich am Ende eines Ganges, der ein Stück in den Fels führte. Kieffer stolperte. Er fühlte, wie seine Beine allmählich nachgaben. Als er um die Ecke in den Gang einbog, sah er aus dem Augenwinkel den Franzosen. In der Rechten hielt sein Verfolger eine Pistole. Sein Gesicht war blutverschmiert, und er humpelte – offenbar war seine Landung nicht ganz so gut verlaufen wie Kieffers. Der Koch rannte zum Aufzug und drückte den Knopf. Er hatte Glück: Der Fahrstuhl befand sich bereits im Erdgeschoss, die Stahltür glitt sofort auf. Kieffer hastete in die Kabine, drückte den Knopf, neben dem »ville haute« stand, und presste sich gegen die rückwärtige Wand. Während die Fahrstuhltür sich ruckelnd schloss, konnte er durch den schmaler werdenden Schlitz Gilberts wutverzerrte Fratze sehen. Er blickte dem Franzosen in die Augen und sah, dass sie beide im selben Augenblick zu dem gleichen Schluss kamen: Gilbert würde es nicht rechtzeitig bis zum Lift schaffen. Kieffers Verfolger blieb stehen, hob seine Pistole und schoss mehrmalsin rascher Folge. Kieffer drückte sich an die Seitenwand. Er hörte ein metallisches Pfeifen, als sich die Kugeln in die dicke Metalltür gruben. Dann spürte er, wie sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte.
    Wenn Kieffer den Fahrstuhl irgendwie blockieren könnte, würde der Franzose zu Fuß den Bock hinaufkraxeln müssen. Selbst ein strammer Läufer brauchte zehn Minuten, um die steil ansteigende Montée du Grund zu erklimmen und in die Altstadt zu gelangen. Das, so hoffte er, sollte eigentlich reichen, um ausreichend Distanz zwischen ihn und den mordlüsternen Franzosen zu bringen. Während sich der Fahrstuhl aufwärtsbewegte, durchsuchte Kieffer die Taschen seiner feuchten Jeans. Neben einer halb vollen Packung aufgeweichter Ducal fand er eine Zweieuromünze und sein Handy. Sein Portemonnaie war ihm offenbar aus der Gesäßtasche geglitten und schwamm wahrscheinlich gerade an der Mousel-Brauerei vorbei. Er erwog kurz, das deaktivierte Handy anzuschalten und Vatanen anzurufen, entschied sich dann jedoch dagegen. Vermutlich war das Gerät sowieso hinüber, aber falls es noch funktionieren sollte, würde er beim Einschalten des nassen Telefons ganz sicher einen Kurzschluss produzieren.
    Eine blechern klingende Frauenstimme krähte »Oberstadt« aus dem Deckenlautsprecher, und die Lifttüren öffneten sich. Kieffer setzte einen Fuß in die Tür und sah sich um. Neben dem Eingang stand ein klappriges Damenrad. Es war zwar mit einer Kette gesichert, doch diese war nirgendwo festgemacht. Kieffer hob das Fahrrad hoch und

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