Teufelsherz (German Edition)
Gänseblümchens im Vordergrund, als ihre Mutter nach ihr rief. Die Pause kam ihr durchaus gelegen, denn ihr gesamter Körper, aber vor allem der Kopf, schmerzte bereits.
Sie kam der Aufforderung nach, den Müll rauszubringen, und blieb noch eine Weile draußen, wo sie sich auf die eiskalten Stufen vor der Eingangstür setzte. Den Kopf auf die Knie gelegt, starrte sie auf den Stoff ihrer farbbefleckten Jeans und erlaubte sich einige Momente lang, in Selbstmitleid zu schwelgen.
So waren Teenager. Hatte sie das nicht selbst zu Damian gesagt? Diese depressiven Launen würden auch wieder vorbeigehen. Man konnte ja einfach einmal einen schlechten Tag haben.
Was er wohl gerade machte? Forschte er nach dem Verbleib von Mandys Seele? Oder war er in diesem Augenblick hier, bei ihr?
Wie abwegig ihr die Vorstellung von Dimensionen und Welten immer noch erschien. Das alles wollte einfach nicht in ihren Kopf. Ihr Verstand konnte nicht begreifen, warum sich ihr Herz nach etwas sehnte, das einfach nicht da war.
Emily atmete noch einmal tief durch, sog die eisige Luft ein und erhob sich. Bemüht fröhlich ging sie an ihrer Mutter vorbei zurück in ihr Zimmer. Als sie die Tür öffnete, blieb sie mit einem erstickten Aufschrei im Rahmen stehen. Der Puls pochte plötzlich in ihrem Hals, und selbst in den Schläfen hämmerte er. Auch das unbewusste Zwicken in ihren Handrücken veränderte das Bild nicht. Sie war hellwach, und doch konnte das nicht möglich sein.
»Emily?«
Hektisch flog ihr Blick zwischen dem über und über mit Gänseblümchen übersäten Zimmer und dem Flur hin und her.
»Emily! Will hat angerufen! Du sollst Krueger mitnehmen. Wer auch immer das ist.«
Kam die Stimme ihrer Mutter etwa näher? War sie schon auf der Treppe? »In Ordnung!«, antwortete sie schnell. »Ich zeichne noch ein wenig und mache mich dann auf den Weg!« Sie knallte die Zimmertür hinter sich zu und drehte den Schlüssel um. »Was hast du getan?«, flüsterte sie und sah sich immer noch fassungslos in dem Raum um. Die Hand an den Mund gepresst, drehte sie sich mit weit aufgerissenen Augen im Kreis und lachte. Vor allem als sie bemerkte, dass die Gänseblümchen nicht wahllos verteilt waren. Sie steckten an den Seiten von Bildern, die Emily, Will und Mandy zeigten, schlängelten sich in einem Blumenkranz die Staffelei hinauf und rahmten sie. Auch auf ihrem Bett fand sie Blumen – in Form eines lächelnden Gesichts, eines Gesichts mit einem Augenzwinkern! Als wollte er sie aufmuntern.
»Das ist nicht wahr«, flüsterte sie. »Das kann nicht wahr sein.« Es war Anfang Dezember! Wie war er an Gänseblümchen gekommen?
Emily ließ sich auf das Bett sinken. Sie nahm eines der Blümchen in die Hand und betrachtete es so zärtlich, als handle es sich um einen kostbaren Diamanten. Es war ein ganz gewöhnliches Gänseblümchen mit weißen Blütenblättern – und doch viel mehr. »Danke«, flüsterte sie und ließ sich lachend zurückfallen. »Danke, danke, danke.«
***
Bis zu Will war es nicht weit, mit dem Fahrrad bei minus acht Grad jedoch etwas ungemütlich. Tapfer trat Emily in die Pedale und ignorierte die Tränen, die ihr die eisige Luft in die Augen trieb. Unangenehm war nur, wenn diese die Wangen hinabrollten und dort gefroren. Sie sollte sich echt dazu aufraffen, endlich den Führerschein zu machen. Auf Wills Chauffeurdienst konnte sie schließlich nicht ewig zählen.
Am Mondsee angekommen, erntete sie ein paar verwunderte Blicke von Spaziergängern, die sie jedoch nicht kümmerten. Um diese Jahreszeit war hier ohnehin kaum etwas los, und so radelte sie seelenruhig um den dunkelgrünen See herum. Eingezwängt zwischen den grauen Bergflanken und dem Wald lag er friedlich in einer Talsenke. Hin und wieder sah sie ein paar Wahnsinnige auf einem Steg, die doch tatsächlich in das eiskalte Wasser sprangen, und dieser Anblick hob ihre zurückgewonnene gute Laune noch weiter. Sie war offensichtlich nicht die einzige Verrückte in dieser Stadt. Der Gedanke beruhigte sie irgendwie.
Sie bog in die Forststraße ein, über die sich dichtes Astwerk wie ein Kuppeldach wölbte, und erreichte schon bald das einsame Blockhaus, das sich gut versteckt mitten im Wald befand. Das hohe schmiedeeiserne Tor stand offen, und sie radelte die asphaltierte Auffahrt hinauf, zwischen den etwas verwahrlosten Ziersträuchern hindurch, die an Spalieren entlang der Straße aufgereiht waren. Auch die Garage war offen, und sie stellte das Fahrrad dort neben dem
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