Teufelsjäger (Die Mark Tate-Saga) (German Edition)
ihm nach, als er davonbrauste. Dann war sie allein. Wie ein Schlag traf sie diese Erkenntnis. Sie stellte sich neben ihren Koffer direkt gegenüber dem Wiesengrund. Wieder einmal tauchte aus ihrem Innern die bange Frage auf, ob sie alles, was ihr hier widerfahren war, nur geträumt hatte.
Kaum hatte sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, als sich ihre Umgebung zu verändern begann. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Die Erde erbebte. Pechschwarze, dräuende Wolken jagten über den Himmel, gruppierten sich und machten die hereinbrechende Dämmerung zur finsteren Nacht. Die Straßenlampen gingen nicht an. Die spielenden Kinder in der Nähe lösten sich scheinbar in Luft auf. Der Verkehr verebbte so schnell wie er entstanden war. Jetzt war Kathryn Warner wirklich allein.
Sie griff nach ihrem Koffer. Irgendwie verlieh er ihr Halt. Es wurde immer finsterer. Die Erde bebte stärker. Es wurde kalt. Ein eisiger Hauch wehte über Kathryn hinweg. Sie vermeinte, wispernde Stimmen zu hören, und packte den Koffer fester. Eine einzige Stimme schälte sich heraus. Es war die Stimme ihres Mannes! Deutlich konnte sie sie erkennen. Doch war es ihr unmöglich, den Sinn der gewisperten Worte zu erfassen.
Ein starker Erdstoß warf sie zu Boden. Sie fiel über den Koffer. Da wallte leuchtender Nebel vor ihren Augen. Sie war sicher, zu Boden zu blicken, und doch war da eine eigenartige Szenerie. Alles war verschwommen und kaum erkennbar. Trotzdem hatte sie das Gefühl, sie müßte die Szene kennen. Etwas bewegte sich. Es wurde deutlicher. Der Nebel verflüchtigte sich. Eine Tanzgruppe, die eigenartige Verrenkungen vor einer unwirklich erscheinenden Bühnenkulisse vollführte. Sie selbst, Kathryn Warner, befand sich inmitten dieser Gruppe.
Über der Szene, links im Vordergrund, schwebte das transparente Gesicht eines unheimlichen Mannes, dessen brennenden Augen auf die Bühne gerichtet waren. Erst glaubte Kathryn, das Gesicht ihres Mannes erkannt zu haben, aber es nahm mehr und mehr die Züge von Jake Devil an. Die Szene wurde von einer grauenvollen, dissonanten Sphärenmusik untermalt. Eiskalte Schauer jagten über Kathryns Rücken.
„Miß Warner!“ rief jemand erschrocken neben ihr. Verwirrt blickte sie sich um. Die Szene vor ihren Augen verblaßte, die Musik wurde unhörbar. Sie machte anderen Geräuschen Platz. Rascheln von Kleidern, heißer Atem, der ihren Nacken streifte und keuchend und stoßweise kam.
Kathryn blickte auf, ließ ihren Koffer los. Vor ihr befand sich ein Mann, der eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Jake Devil hatte. Aber er erinnerte auch an den Mann, der Kathryn auf jener Steintreppe begegnet war - auf der Steintreppe, die sie später vergeblich gesucht hatte. Der Fremde deutete eine knappe Verbeugung an, während Kathryn verwirrt feststellte, daß sie nicht länger am Boden lag, sondern schwankend dastand.
„Gestatten Sie, Miß Warner, mein Name ist Angel Luzifer.“ In die Stimme mischte sich Besorgnis. „Sagen Sie, was war mit Ihnen? Ich fand sie zusammengekauert über ihrem Koffer und half Ihnen wieder auf die Beine. Ist Ihnen schlecht geworden?“
„N-nein“, wich Kathryn aus, „ich ruhte nur etwas. Ich ging spazieren und hatte meinen Koffer dabei. Das hätte ich nicht tun sollen. Es hat mich zu sehr angestrengt.“
„Naja, Sie müssen entschuldigen, aber es sah wirklich schlimm aus. Ich bin regelrecht erschrocken.“
Kathryn betrachtete den Fremden genauer. Angel, hämmerte es in ihr. Immer wieder: Angel. Das heißt Engel, sagte sie sich. Jetzt wußte sie auch, was den Mann von Jake Devil unterschied. Seine Gesichtszüge waren viel weicher, fast wie die einer Frau. Vielleicht war der Mann innerlich auch eine? Luzifer. Wie kam der Mensch zu einem solchen Namen? „Was - was ist mit Mr. Devil? Er wollte doch...“, fragte Kathryn, um sich abzulenken: Sie kam nicht mehr dazu, den letzten Satz zu vollenden, denn sie hatte an dem Fremden vorbeigesehen.
Inzwischen war die Finsternis gewichen und hatte der normalen Dämmerung wieder Platz gemacht. Jeden Augenblick konnte die Straßenbeleuchtung aufflammen. Aber das war es nicht, was Kathryn bis ins Mark erschütterte. Es war die Tatsache, daß das Wiesengrundstück verschwunden war! An seiner Stelle stand wieder das altersschwache Haus mit dem blatternarbigen Schild! Wie durch dichte Watte drang die Stimme Luzifers zu ihrem Bewußtsein: „Er ist leider verhindert. Deshalb habe ich mich auch ein wenig verspätet. Es hat nicht ganz so geklappt, wie es
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