Teufelsjäger (Die Mark Tate-Saga) (German Edition)
uns einen Weg. Unterwegs hatten wir uns dabei ständig abgelöst. Jeder mußte einmal die Führung übernehmen. Diesmal machte Millair selbst den Vortritt. Er kannte sich ja auch als einziger hier aus. Es hatte sich sowieso inzwischen erwiesen, daß er sich sogar recht gut hier auskannte. Überhaupt schien er überall die Nase ganz vorn zu haben. Ich gewann den Eindruck, man hätte ihn irgendwo blind aussetzen können, er hätte sich gewiß nicht verlaufen. Trotzdem war und blieb er in meinen Augen „ein menschliches Stinktier“ - eins nämlich, das ohne Wimpernzucken lässig über Leichen ging. Daß er uns unterstützte, geschah aus reinem Eigennutz. Er rechnete sich einen Vorteil aus, welchen auch immer. Auch waren Don und ich überzeugt davon, daß er den Zeitpunkt unseres Herkommens ganz bewußt so gelegt hatte. Was erwartete er denn hier? Möglicherweise verfolgte er ein bestimmtes Ziel, und in Wahrheit waren wir es, die ihm halfen, und nicht umgekehrt?
Ich wollte nicht mehr länger darüber nachdenken. Es deprimierte mich irgendwie, daß wir auf einen solchen Menschen angewiesen waren. Vielleicht hätten wir doch besser das Angebot des alten Inders angenommen, eine kleine Organisation aufzubauen und damit den Kampf mit dem Kult aufzunehmen? Ich verwarf den Gedanken wieder. Es hätte einfach zuviel Zeit in Anspruch genommen, anders vorzugehen, als wir es hier taten. Je kleiner die Gruppe blieb, desto größer womöglich der Erfolg? Einen offenen Kampf hätten wir von vornherein verloren.
Millair bewegte sich nicht schnurgerade auf den Felsen zu, sondern umging ihn. Als Don ihn nach dem Grund fragte, antwortete er: „Wir dürfen dem Tempel nicht zu nahe kommen. Seit der Kult erneut entstanden ist, wird der Tempel ständig bewacht. Es gibt da allerdings einen Platz, von wo aus man besonders viel sieht, ohne jedoch selbst gesehen zu werden. Na, lassen Sie sich überraschen.“
Es zeigte sich, daß Stephen Millair nicht zuviel versprochen hatte. Wir gelangten zu einer Felsengruppe, und einer der mächtigen Felsen bot sich als eine Art Tribünenplatz regelrecht an. Die Vegetation war zwar nicht gerade üppig hier, jedoch durchaus ausreichend, um uns genügend Deckung zu bieten. Die Dunkelheit war inzwischen in der in den Tropen üblichen Schnelligkeit hereingebrochen. Wir bezogen möglichst geräuschlos Stellung.
Für jeden hatte Stephen Millair ein Nachtglas mitgenommen. Er verteilte sie. Wir schauten damit zum Tempel hinüber. Von Ruß war nichts mehr zu sehen. Die Ruine war sogar teilweise wieder aufgebaut und herumliegende Trümmer weggeräumt worden. Ein großes Fünfeck befand sich dort drüben. An jeder Spitze dieses Fünfecks ragte eine Säule empor. Sie waren übersäht mit Schlangenreliefs. Dominierend dabei war die Königskobra. Auch die Bodenplatte war mit Ornamenten verziert. Von uns aus gesehen leicht rechts versetzt stand eine große Götzenstatue: Kali persönlich! Brennende Fackeln warfen ihr flackerndes, gespenstisches Licht. Die Statue schien dadurch zu eigenem Leben zu erwachen.
Es schauderte mich. Ein Seitenblick überzeugte mich davon, daß die beiden anderen nicht weniger beeindruckt waren. Sogar Millair konnte sich der unwirklich anmutenden Atmosphäre anscheinend nicht entziehen, obwohl er das doch gewiß nicht zum ersten Mal sah.
Ich beobachtete weiter. Die Statue war gut erhalten - oder war da ein guter Restaurateur am Werk gewesen? Auf die Entfernung hin glaubte ich die typischen Nahtstellen zu sehen. Das Medusahaupt des Götzen weckte Assoziationen an eine Sonnengöttin. Nur waren die Strahlen eben Schlangenkörpern nachempfunden. Das Gesicht war verzerrt. Es drückte Gier aus. Die Augen loderten. Glühende Edelsteine scheinbar, in denen sich das unruhige Licht der Fackeln brach. In den vier Händen, die Enden der Schlangenarme, hielt die Göttin je ein Schlangenzepter. Ich schüttelte mich unwillkürlich. Der Anblick war wirklich grausig. Auch für mich. Obwohl ich in dieser Hinsicht schon einiges gewöhnt war.
Plötzlich erschien am gegenüberliegenden Rand der fünfeckigen Platte der Kopf eines Mannes. Es sah so aus, als würde er direkt aus dem Boden wachsen. In Wirklichkeit mochte es auf dieser Seite eine Treppe geben, über die er geschritten kam. Auf dem unbedeckten Kopf trug er eine Brillenschlange. Sie hatte sich zusammengeringelt und richtete sich jetzt auf. Unverwandt blickten ihre starren Augen auf das Götzenbildnis. Erst jetzt erkannte ich, daß der Mann über und
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