Teufelsjagd
schlagend auf dem Boden. Corbett ergriff die kleine Armbrust und schleuderte sie gegen die Wand. Sein Angreifer riß sich los. Corbett wollte sich erheben, aber der andere hielt ihm sein Schwert an den Hals. Die vornübergebeugte Gestalt zog die Kapuze zurück.
Master Richard Norreys.
Corbett fühlte im Gürtel nach seinem Dolch, aber die Scheide war leer.
Norreys kniete sich hin und ritzte Corbetts Hals mit seiner Schwertspitze. Corbett zuckte zusammen. »Bewegt Euch nicht.« Norreys wischte sich mit einer Hand den Schweiß aus dem Gesicht. Die andere, mit der er das Schwert hielt, zitterte nicht einmal. »So, so, so«, sagte Norreys nachdenklich.
Er trat näher in den Lichtschein. Seine Augen hatten etwas Weiches, Verträumtes. Corbett hatte Mühe, seine Angst zu unterdrücken. Er entschied, keinen Ausfall zu wagen — Norreys war vollkommen übergeschnappt. Wenn er kämpfte oder sich wehrte, würde ihm Norreys das Schwert in den Hals rammen und ihm dann seelenruhig beim Sterben zuschauen.
»Warum?« Corbett versuchte seinen Kopf zu bewegen. Er schaute den Gang hinter Norreys entlang. Wo um Gottes willen, dachte er, bleibt nur Ranulf.
»Warum was?« fragte Norreys.
»Warum diese Morde?«
»Das ist ein Spiel, versteht Ihr«, antwortete Norreys. »Ihr wart doch auch in Wales, Sir Hugh, Ihr wißt doch, wie es dort war. Ich war Späher und Spion. Ich begleitete die anderen in der Nacht. Durch diese nebligen Täler. Nichts«, Norreys’ Stimme war nur noch ein Flüstern, »gar nichts bewegte sich, bloß das Rauschen der Bäume und der Schrei einer Eule waren zu hören. Aber sie waren trotzdem immer da, oder? Diese verdammten Waliser, die wie die Würmer auf dem Boden entlangkrochen.« Norreys Gesicht war voller Haß. »Leise, leise!« Er riß die Augen auf. »Wir gingen immer in Gruppen von fünf oder sechs. Gute Männer, Sir Hugh, Bogenschützen, die Frau oder Geliebte zu Hause hatten. Wir verloren jedesmal einen, manchmal auch zwei oder drei. Immer dasselbe! Erst fanden wir nur die Leichen, und dann mußten wir ihre Köpfe suchen. Manchmal spielten die Schweine mit uns. Sie nahmen einen Kopf und ließen ihn wie einen Apfel in der Brise baumeln.« Norreys hielt inne und packte sein Schwert mit beiden Händen. »Ihr denkt, ich bin verrückt, von Sinnen, vom Teufel besessen. Ich sage Euch nur soviel, Bevollmächtigter«, fuhr er fort, und seine Stimme überschlug sich fast, »als die Armee des Königs in Shrewsbury aufgelöst wurde, fing ich an, Träume zu haben. Immer dieselben. Immer diese Dunkelheit, Lagerfeuer zwischen den Bäumen, Schritte hinter oder neben mir. Und diese Köpfe — immer diese Köpfe! Manchmal sah ich tagsüber kleine Dinge — ein Blatt an einem Zweig, einen reifen Apfel an einem Ast«, Norreys seufzte, »und der Traum begann von neuem. Dann kam ich hierher.« Er lächelte. »Versteht Ihr, Sir Hugh, ich bin ein gelernter Mann, ausgebildet als Schreiber, ein Student der Wissenschaften. Außerdem war ich ein guter Soldat, also gab mir der König hier mein Auskommen.«
»Seid Ihr der Bellman?« fragte Corbett.
»Bellman!« Norreys kicherte. »Bellman! Dieser de Montfort und diese fetten Säcke auf der anderen Seite der Gasse sind mir wirklich so was von egal. Hier war ich glücklich, und die Träume wurden auch seltener... aber dann kamen die Waliser.« Er schloß die Augen, öffnete sie aber sofort wieder, als sich Corbett bewegte. »Nein, nein, Sir Hugh, Ihr müßt mir schon zuhören. Wie ich ihnen lauschen mußte — diesen Stimmen. Erinnert Ihr Euch, Sir Hugh, daß uns die Waliser immer im Dunkeln anriefen? Sie kannten unsere Namen, und während wir sie jagten, jagten sie uns. Und wenn sie einen aus dem Trupp erwischt hatten, dann riefen sie: »Jetzt hat es Richard erwischt! Jetzt hat es Henry erwischt! Sagt Johns Frau, daß sie Witwe ist!«« Norreys’ Stimme hallte in den Gewölben wider. Er drehte sich um. »Ich muß gehen«, flüsterte er. »Die Studenten sind bald von den Vorlesungen zurück. Sie werden bei mir wegen allem möglichen anklopfen.«
»Und die alten Männer?« fragte Corbett eilig.
»Das war ein Unfall«, antwortete Norreys und schüttelte den Kopf. »Ein bloßer Zufall, Sir Hugh. Ein alter Bettler kam hierher und suchte Arbeit. Also schickte ich ihn runter in den Keller, ein Faß Wein zu holen. Natürlich mußte der dumme Alte das Faß öffnen. Er war ziemlich betrunken, als ich runterkam. Vor lauter Angst rannte er weg. Ich folgte ihm.« Norreys kaute auf seiner
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