Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
nervöser und probierte weiter, bis er schließlich die Vorlauffunktion fand. Endlich hörte er die Stimme, auf die er gewartet hatte. Die Nachricht war kurz, aber nicht misszuverstehen. Sie wollte mit ihm sprechen.
Einen Moment überlegte er, dann drückte er entschlossen die Rückruftaste. Seine Schläfen pochten, als er das erste Rufzeichen hörte. Er würde den Überlebensbrunch absagen müssen, er würde trotzdem mit dem Roller zuerst in die Stadt fahren, um sein Auto zu holen, das er gestern Nacht hatte stehen lassen, er würde sie fragen, ob …
Seine Gedanken wurden unterbrochen, und er brauchte einen Moment, ehe er realisierte, dass die Stimme, die er hörte, vom Band kam. Luise war nicht zu Hause.
Eine Stunde später plagten Kaltenbach andere Sorgen. Regina hatte ihn zusammen mit Markus und Walter zum Abtrocknen eingeteilt. Dieter spülte und sie selbst sorgte mit einer Freundin aus der Nachbarschaft dafür, dass der Tellerberg neben der Spüle nicht kleiner wurde. Markus kläglicher Hinweis auf die Geschirrspülmaschine und die Segnungen der modernen Technik in einem modernen Haushalt hatte sie erbarmungslos zurückgewiesen.
»Was glaubst du, wie lange das dauert? Das Geschirr von 40 Leuten – da sind wir morgen früh noch beschäftigt! Außerdem spart das Energie und fördert das soziale Miteinander!«
Natürlich hatten sie sich sofort gefügt, nicht nur, weil sie wussten, dass die resolute Regina recht hatte. Es war in jedem Jahr so, und schließlich waren sie genau deswegen gekommen. Außerdem konnten sie nur so ihrer gefürchteten, flammenden Rede gegen die Faulheit der Männer im Allgemeinen und deren mangelndes Einbringen bei der Hausarbeit im Besonderen entgehen.
Dieter hatte als Erleichterung für die Arbeit ein paar CDs aus seiner umfangreichen Sammlung mitgebracht. Lautstark sang er die Refrains zu den 60er-Jahre-Hits mit.
Markus verzog den Mund. »Von Strafverschärfung war aber nicht die Rede«, stöhnte er und betrachtete mit dunklen Gedanken die scharfe Klinge eines Gemüsemessers, das er gerade abtrocknete. »Tod beim Überlebensbrunch – Drama in der Mühlgasse – keine Überlebenden beim Morgenritual einer obskuren Sklavensekte«, brummte er. »Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir!« Seufzend warf er das Messer in den Besteckkasten und nahm das erste der Biergläser in Angriff. »Nicht mal was zu trinken kriegt man hier«, maulte er. Doch im nächsten Moment ließ er sich anstecken, mit Dieter zusammen ›We all live in a yellow submarine‹ zu singen. Dabei standen die beiden nebeneinander und bewegten ihre Oberarme im Schunkeltakt des alten Beatles-Hits.
»Jetzt fehlt nur noch die Luftgitarrennummer von ›Smoke on the water‹«, rief Walter zu ihnen hinüber. »Passt bloß auf, die Guinnessgläser sind original aus Dublin!«
»Geklaut, Väterchen, geklaut!« Andrea kam die Treppe herunter gehüpft und stupste ihren Vater liebevoll auf den Bauch. »Echte Stadtguerillatrophäen müssen wieder unters Volk«, lachte sie. »Viel Spaß auch noch. Ich darf doch das Auto haben, oder?«, rief sie und floh Richtung Tür, um Walters Geschirrtuch zu entgehen, das er ihr hinterher warf.
Walter war etwas verlegen und stolz zugleich. »Fahr vorsichtig!«, rief er ihr nach.
Kaltenbach begann, die ersten trockenen Teller in den Schrank einzuräumen. »Und du gibst ihr so locker euer Auto?«, staunte er. Andrea hatte erst vor ein paar Wochen den Führerschein gemacht.
»Ich nicht.« Walter nickte zu seiner Frau hinüber und grinste verschwörerisch. Regina bearbeitete eben mit Lappen und Wasser den großen Holztisch, der gestern als Buffet gedient hatte. »Frauenpower. Erst haben wir jahrelang für die Emanzipation gekämpft und nun das!«
Kaltenbach spürte deutlich den Stolz, der in Walters Worten mitschwang, wenn er über seine Familie sprach. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er und Monika Kinder gehabt hätten. Er hatte es immer verschoben, jahrelang. Zu lang.
Nachdem gefühlte 300 Teller durch seine Hände gewandert waren, tönte eine resolute Stimme durch den Raum. »Kaffeepause!«, befahl Regina. Auf dem frisch gewienerten Tisch standen eine große Kanne mit sechs Tassen, dazu eine Kuchenplatte mit den Resten von gestern Abend. Kaltenbach war froh über die Unterbrechung. Bei dieser Gelegenheit konnte er Luise anrufen. Dabei fiel ihm ein, dass er ihre Nummer nicht hatte. Er würde sich gedulden müssen, bis er wieder in Maleck war. Hoffentlich hatte er nicht aus
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