Teufelsleib
zu bestätigen, das sie gegen Pfarrer hegte.
»Christus wurde von Maria von Bethanien, die oft mit der Sünderin Maria Magdalena gleichgesetzt wird, mit Öl gesalbt: Es war zwar das kostbare Nardenöl, aber dem Olivenöl kam im Altertum eine ähnliche Bedeutung zu. Es blieb gewöhnlich den Reichen, Mächtigen und Erfolgreichen vorbehalten. Mit dem Olivenzweig hat man im Altertum herausragende Sportler geehrt, aber auch Kränze daraus gebunden, die Herrschern vorbehalten waren. Dazu muss man wissen, dass der Olivenbaum seinen Ursprung im Mittelmeerraum zwischen Griechenland und Palästina hat. Und die weiße Taube steht für Frieden. Als Noah nach der Sintflut mit der Arche auf dem Berg Ararat gestrandet war, ließ er eine weiße Taube hinausfliegen, die mit einem Olivenzweig im Schnabel zurückkehrte, was für ihn die Bestätigung war, dass die Flut endgültig vorüber war. Und Christus oder griechisch Christos bedeutet nichts anderes als ›Der Gesalbte‹. Genau genommen erscheinen alle drei Symbole in der Heiligen Schrift. Darin heißt es auch, dass Christus bei seinem zweiten Kommen seinen Fuß auf den Ölberg stellen und dieser sich spalten wird.« Winkler machte eine Pause und sah Brandt und Klein an. »Die Olive und das aus ihr gewonnene Öl, der Olivenzweig und die weiße Taube haben eine ausschließlich positive Bedeutung, sie haben mit Frieden und nicht mit Töten zu tun. Deshalb zeigt auch die Flagge der UNO zwei Olivenzweige, die eine Weltkarte umrahmen. Ich kann mir nicht vorstellen, warum der Mörder diese Symbole benutzt hat.«
»Danke, Sie haben uns schon sehr geholfen. Wir sind geübt im Zusammensetzen von Puzzles. Einen schönen Tag noch.«
»Und Ihnen viel Erfolg. Hoffentlich finden Sie ihn, bevor er noch mehr Unheil anrichten kann. Und ich hoffe natürlich auch, dass er nicht aus meiner Gemeinde kommt. Es wäre eine Katastrophe.«
»Herr Winkler, uns kommt es einzig und allein darauf an, den Mörder zu kriegen«, sagte Brandt, beugte sich nach vorn, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und fixierte Winkler. »Angenommen, nur mal angenommen, er käme aus Ihrer Gemeinde und würde Ihnen die Morde beichten, was würden Sie tun? Es für sich behalten?«, fragte er provozierend.
»Ich hätte keine andere Wahl«, antwortete Winkler nach kurzem Überlegen ungerührt, als hätte er die Provokation überhört.
»Sehen Sie, und genau deshalb werden Polizei und Kirche nie zusammenkommen. Es ist dieses Beichtgeheimnis, für das ich bei Mord kein Verständnis habe. Nicht einen Funken.«
»Sie müssen den Hintergrund …«
»Ich muss überhaupt nichts. Das ist nicht gegen Sie persönlich gerichtet, aber viele Verbrechen könnten viel leichter und schneller aufgeklärt werden, würde die Kirche ihre verkrusteten Strukturen und Gesetze endlich einmal aufbrechen. Aber da kann ich wohl bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten.«
»Herr Brandt, ich halte mich an Regeln, genau wie Sie das auch tun müssen. Aber es hat keinen Sinn, darüber zu diskutieren, ich habe diese Regeln nicht aufgestellt, bin aber angehalten, sie zu befolgen.«
Winkler stand auf und begleitete die beiden Beamten zur Tür und wollte sich verabschieden, doch Brandt unterbrach ihn. »Ich weiß nicht, ob Sie mir diese Frage beantworten dürfen, aber könnte es sein, dass der Täter bereits zum Beichten bei Ihnen gewesen ist?«
»Ich kann diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Bis jetzt hat mir noch kein Mensch einen Mord gebeichtet. Auf Wiedersehen.«
»Noch eine letzte Frage: Wie viele Menschen besuchen im Schnitt sonntags Ihre Kirche?«
»Zwischen zwei- und dreihundert. Das ist für die heutige Zeit sehr viel.«
»Danke für Ihre Hilfe und gutes Gelingen bei der Predigt. Was wird denn der Inhalt sein?«
»Das Hohelied der Liebe, 1. Korinther 13. Wissen Sie, was unsere Gemeinde von den meisten andern unterscheidet? Wir halten uns nicht unbedingt an die Vorgaben meiner Kirche. Eigentlich ist das Evangelium ein ganz anderes, aber ich wollte über die Liebe sprechen. Doch nach dieser erschütternden Nachricht kann es auch sein, dass ich ein anderes Thema wähle. Ich lasse mich inspirieren.«
»Tun Sie das. Und vielleicht bis morgen.«
Winkler wartete, bis die Beamten ins Auto gestiegen waren, sah ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden waren, und ging zurück ins Haus. Dort zündete er sich eine Zigarette an und schenkte sich einen Cognac ein. Nach dem zweiten Glas nahm er den Hörer vom Telefon und wählte die
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