Teufelsleib
vor einem Durchbruch. Oder ist es immer noch wegen Andrea?«
Ohne darauf einzugehen, sagte Elvira: »Ich find das sensationell, was Bauer rausgefunden hat. Wie ist er bloß auf diese Idee gekommen? Das ist doch gar nicht seine Aufgabe.«
»Durch mich. Ich hab ihn vorhin gefragt, ob er nicht mal alle ungeklärten Mordfälle der letzten zehn Jahre an Frauen im Alter zwischen sechzehn und vierzig in Deutschland durchgehen könnte …«
»Genial. Das heißt, du hattest schon eine Ahnung, dass unser Mann bereits vor den Morden bei uns …«
»Es war Nicole, sie hat mich drauf gebracht. Sie war gestern Abend wirklich glasklar im Kopf. Ich wär gar nicht auf die Idee gekommen. Aber als sie es ausgesprochen hat, hab ich nur gedacht, diese Sache werde ich überprüfen.«
»Ich bin stolz auf euch. Ich denke, jetzt kriegen wir ihn.«
»Er weiß nur noch nicht, dass wir ihm dicht auf den Fersen sind.«
»Wir sind ihm noch nicht dicht auf den Fersen, bis jetzt haben wir nur Vermutungen …«
»Aber du hast doch eben selbst gesagt, dass wir ihn jetzt kriegen«, sagte Brandt irritiert.
»Schon, aber ich will vermeiden, dass wir zu euphorisch sind und dann doch enttäuscht werden.«
»Ich bin nicht euphorisch, ich sehe nur endlich einen Lichtstrahl am Horizont. Du solltest mich besser kennen, Euphorie war noch nie mein Ding. Ich bin Pragmatiker«, sagte er grinsend, als sie ausstiegen und die fast zweihundert Meter zum Haus gingen. Die Sonne mogelte sich für Sekunden durch die Wolken, bevor sie wieder verschwand, als wollte sie nur kurz zeigen, dass es sie noch gab. Von den Dächern tropfte es, die Temperatur lag bei über null Grad. Doch spätestens heute Nacht würde es wieder frieren, die Straßen würden glatt sein, und es würde mehr Unfälle geben als sonst.
Sonntag, 12.25 Uhr
M ichaela Preusses Wohnung war eine typische Studentenbude im dritten Stock eines Mehrparteienhauses. Zwei Zimmer, die mit schlichten Möbeln eingerichtet waren, keine Pflanzen, ein mittelmäßig sauberes Badezimmer, eine Küche, die eine Grundreinigung dringend nötig gehabt hätte, und ein Schlafzimmer mit einem ungemachten Bett. In dem etwa zwanzig Quadratmeter großen Wohnzimmer standen eine Couch, ein Sessel, ein Tisch, ein kleiner Fernseher, eine Musikanlage, alles klein und billig. Am auffälligsten war der Schreibtisch, auf dem sich die Bücher türmten. Elvira ging die Stapel durch und nickte: »Sie hat studiert. Alles Bücher aus der Uni-Bibliothek.«
»Aber sie hat keinen besonderen Wert auf Sauberkeit gelegt, wenn ich mich hier so umsehe.«
»Hier«, sagte Elvira und hielt ein Blatt Papier hoch, »sie hat ihre Noten notiert. Eine Einser-Studentin. Da frage ich mich doch, warum geht so jemand auf den Strich? Wenn sie in Geldnot war, hätte es bei ihren Leistungen …«
»Ist heute nicht mehr so einfach. Es wird doch überall gespart. Nur diese Schnösel, die in ihren klimatisierten Hörsälen Jura, BWL und VWL studieren, bekommen alles in den Arsch geschoben.«
Elvira runzelte die Stirn und warf Brandt einen giftigen Blick zu. »Ich habe auch Jura studiert und …«
»Und? Gib doch zu, dass du Privilegien hattest, von denen zum Beispiel Germanistikstudenten nur träumen konnten. Das war bei dir so und ist heute noch immer so, oder sogar schlimmer. Ein bisschen kenne ich mich da auch aus.«
»Was suchen wir eigentlich?«
»Gar nichts, ich wollte nur sehen, wie sie gewohnt hat. Sie war finanziell nicht sonderlich gut gestellt, wenn ich mir ihre Kontoauszüge so anschaue«, sagte Brandt, der einen Ordner in der Hand hielt und darin blätterte. »Immer am Limit. Ich sehe keinen Geldeingang von den Eltern oder andern Verwandten. Die war vollkommen auf sich allein gestellt. Wahrscheinlich sah sie gar keinen anderen Ausweg, als auf den Strich zu gehen. Und dann trifft sie auch noch ihren Mörder. Was für ein Scheißspiel!«
»Es gibt doch auch andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Niemand muss sich prostituieren«, widersprach Elvira.
»Sie hat es vielleicht als einzigen Weg gesehen. Ich möchte nicht wissen, wie sie sich dabei gefühlt hat. Du weißt, du bist eine Spitzenstudentin, auf der andern Seite reicht die Kohle vorne und hinten nicht. Da fängst du doch an, am Leben und an der Gesellschaft zu zweifeln. Oder an der Politik.« Er hatte den Ordner wieder auf den Tisch gelegt und sah in den Kleiderschrank. »Hier, die Klamotten. Das Zeug ist ganz sicher nicht aus der Goethestraße. Billigware.«
Elvira kam
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