Teufelsleib
parkte. Nur noch vereinzelte Flocken fielen aus den dichten Wolken. Von gestern Abend bis zum Mittag war fast mehr Schnee gefallen als in den Wintern der vergangenen zehn Jahre zusammen, dachte Brandt. Dazu kam eine nasse Kälte, die von unten nach oben kroch, auch wenn die Temperatur auf zwei Grad über null gestiegen war.
»Ich kann diesen Pfaffen nicht ausstehen«, sagte Brandt. »Der predigt von Liebe, dabei weiß der doch gar nicht, was das ist.«
»Geh nicht so hart mit ihm ins Gericht, er ist nun mal Pfarrer und muss sich den Gesetzen der Kirche beugen. Wenn er dürfte, wie er wollte, würde er uns einiges über die drei Frauen und den potenziellen Täter berichten. Er weiß eine Menge, aber das behält er für sich. Uns bleibt nichts anderes übrig, als unseren eigenen Weg zu gehen. Halt mich für verrückt oder spinnert, aber ich hatte vorhin für einen kurzen Moment das ganz starke Gefühl, dass der Mörder in meiner Nähe war. Es war ein unbeschreibliches Gefühl …«
»Ich kann dir nicht ganz folgen«, sagte Brandt und schloss die Türen mit der Funkfernbedienung auf.
»Ich sag doch, ich kann es nicht besser beschreiben. Ich habe eine Energie gespürt, die nicht gut war.«
»Und wann war das etwa?«
»Wieso? Ist die Uhrzeit wichtig?«, fragte Elvira lachend.
»Sag schon, wann ungefähr?«
»Irgendwann mittendrin. Ich glaube, es war, als der Chor diesen Gospel sang. Ich war tief berührt, und gleichzeitig war da dieses Gefühl. Hätte ich doch bloß nichts gesagt, jetzt denkst du noch, ich hätte sie nicht mehr alle.«
»Schatz«, sagte Brandt und lehnte sich auf das Autodach, »so etwas würde ich niemals denken. Nur, und das ist Fakt, dein Gefühl bringt uns nicht einen winzigen Schritt weiter. Vor uns liegt ein langer und steiniger Weg. Jetzt fahren wir in die Wohnung der Preusse, und danach suchen wir uns ein nettes Restaurant, speisen fürstlich und erledigen den Rest unserer Arbeit für heute. Okay?«
Elvira konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und stieg ein. »Ich dachte immer, ich wäre die Pragmatische von uns beiden. Mittlerweile sehe ich das anders.«
»Wir sind beide sowohl pragmatisch als auch … Was ist eigentlich das Gegenteil von pragmatisch?«, fragte er, startete den Motor und fuhr aus der Parklücke.
Elvira schüttelte den Kopf. »Jetzt hast du mich aber. Das Gegenteil von pragmatisch … idealistisch, enthusiastisch? Der Pragmatiker denkt und ist sachlich, nüchtern … Ja, was anderes fällt mir nicht ein. Wie kommst du eigentlich gerade jetzt auf so eine Frage?«, wollte Elvira wissen.
»Du hast damit angefangen. Aber ich akzeptiere deine Erklärung. Daran sieht man mal wieder, dass du eben doch die bessere Bildung genossen hast.«
»Mach dir nichts draus, ich bin deswegen kein besserer Mensch. Es kommt auf das Herz an, und das habe ich von dir gelernt. Wir ergänzen uns eben auf wundervolle Weise … Warum hast du eigentlich Winkler nichts von der vierten Toten gesagt?«
»Weil sie nichts mit dieser Kirche zu tun hat. Sie lebte in Frankfurt, sie ging in Frankfurt auf den Strich, sie passt so gar nicht in das Schema. Der Killer spielt nur und hofft wohl, dass wir drauf reinfallen. Er kommt aus der Kirche und lacht sich über uns schief.«
Der Verkehr war mäßig, es schien, als trauten sich viele Autofahrer nicht, an diesem Sonntag ihr Auto aus der Garage zu holen. Dabei waren die meisten Straßen vom Schnee geräumt worden. Sie kamen gut voran. Unterwegs klingelte Brandts Handy.
»Hi, ich dachte, du hättest schon Feierabend«, meldete sich Brandt, als er Bauers Nummer erkannte, und stellte auf Freisprechanlage.
»Dachte ich auch, aber ich habe nach ungeklärten Morden gesucht und bin tatsächlich fündig geworden, auch wenn’s ein wenig länger gedauert hat, weil ich noch einige Sachen mit den Kollegen der zuständigen Dienststellen abklären musste. Eigentlich wollte ich dir das ganze Zeug auf den Schreibtisch legen, aber es hat mir keine Ruhe gelassen. Also, pass auf …«
»Frau Klein sitzt neben mir«, unterbrach ihn Brandt.
»Umso besser. Also, Folgendes: Es gibt zwei Mordfälle, einer hat sich im November 2006 in Darmstadt zugetragen, der andere im April 2007 in Frankfurt. Beim ersten Opfer handelt es sich um die neunundzwanzigjährige Gymnasiallehrerin Liane Schreiber aus Darmstadt, die in den späten Abendstunden des 21. November 2006 umgebracht wurde. Mit zwei Messerstichen. Alle Personen, mit denen sie in engerem Kontakt stand, die bei
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