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Teufelsleib

Titel: Teufelsleib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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doch gab es eine Frau, die er zu lieben meinte und von der er glaubte, nein, überzeugt war, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Es war aber längst zu spät, der Zug war abgefahren, denn auch wenn diese Liebe Realität werden würde, er würde weitermorden und weitermorden – bis zu seinem Tod.
    Es waren die Bilder seiner Vergangenheit, die ihn nicht losließen, der unsägliche Hass, der sich über drei Jahrzehnte konstant aufgebaut hatte und so unerträglich wurde, dass er ihn zwang zu töten. Und dieser richtete sich nur gegen Frauen. Sechs Frauen in drei Jahren, davon zwei innerhalb der letzten drei Tage.
    Hatte er es gewollt? Wollte er töten? Diese Frage hatte er sich unzählige Mal gestellt und nie eine Antwort gefunden. Nein, vor Liane Schreiber hatte er niemals jemanden töten wollen, doch nach ihrem Tod wurde er süchtig nach dem Dunklen, süchtig nach Macht, nach Blut und nach dem Zwang zu töten.
    Wie konnte es geschehen, dass er in eine Kirchengemeinde kam, wo es von Huren nur so wimmelte? Zufall? Oder war er von einer unsichtbaren Macht dorthin gebracht worden? Er wusste es nicht. Doch wo er hinblickte, sah er nur Huren, Huren, Huren. So erschien es ihm jedenfalls. Und er verschwendete auch nicht einen Gedanken daran, dass sein Blick eingeschränkt sein könnte, für ihn waren alle Frauen gleich. Alle Frauen waren Huren, und Huren hatten sein Leben zerstört. Huren hatten ihn sein Leben lang begleitet, Nonnenhuren, die sich von ihm bedienen ließen, um ihre Lust zu befriedigen. Und sie dachten sich immer neue drakonische Strafen aus, um ihn und andere seiner Mithäftlinge, wie er sie nannte, zu demütigen und ihre Seele zu zerstören.
    Natürlich waren nicht alle Nonnen gleich gewesen, es gab auch welche, die ihn nicht demütigten, die ihn nicht zu Dingen zwangen, die er nicht wollte. Die ihm aber auch nicht zur Seite standen oder sich vor ihn stellten, wenn es ihm schlechtging.
    Zwei seiner Kumpel hatten sich noch im Waisenhaus das Leben genommen. Offiziell waren sie bei Unfällen gestorben.
    Er erinnerte sich noch genau, wie er mit sieben Jahren ins Waisenhaus gekommen war. Anfangs war es eine Verbesserung gewesen, aber bereits nach wenigen Wochen erkannte er, dass er von einer Hölle in die nächste gestoßen worden war. Die schlimmste Hölle für ein Kind.
    Er war in seinem Zimmer, kniete vor seinem Schrein und betrachtete andächtig die sechs Fotos. Er berührte jedes einzelne davon, lächelte und zündete sechs Kerzen an. In diesem Zimmer – wie im ganzen Haus – herrschte vollkommene Ruhe, kein Laut drang von außen herein. Die Fenster waren geschlossen, die Rollläden heruntergelassen. Er hatte die Heizung aufgedreht, ihm war schon seit dem Morgen kalt. Er hoffte, sich nicht erkältet zu haben, doch wenn es sein musste, würde er sich mit Medikamenten vollstopfen, bis auch die letzten Symptome verschwunden waren. Da war ein leichtes Kratzen im Hals, und die Augenhöhlen schmerzten.
    Ich darf jetzt nicht krank werden, nicht jetzt und vor allem nicht heute. Nicht heute, nicht heute, nicht heute!
    Als er sich erhob, schien der ganze Körper zu schmerzen. Er ging ins Bad, öffnete den Medikamentenschrank und nahm ein paar Pillen und Tropfen. Bald würde er sich besser fühlen.
    Er kniete sich wieder vor den Schrein und blickte verklärt in die Gesichter der Frauen, die er ins Jenseits befördert hatte. Kurz sah er auf die Uhr, der Sekundenzeiger bewegte sich in monotonem Rhythmus vorwärts.
    »Heute Abend ist es so weit, meine Lieben«, sagte er leise, als könnte jemand mithören, obwohl er sich ganz allein in seinem Haus befand. »Heute Abend werde ich mein Werk vollenden. Was immer danach passiert, das weiß nicht einmal ich. Vielleicht werden wir uns bald wiedersehen, auch wenn ich nicht recht daran glaube. Es gibt kein Leben nach dem Tod, es gibt keinen Gott, keinen Teufel, nur Menschen, die sich als Gott oder Teufel aufspielen. C’est la vie et c’est la mort, dachte er lächelnd. Weder das eine noch das andere ist schön. Wir sehen uns später. Vielleicht. Jetzt muss ich mich fertig machen, die Zeit vergeht wie im Fluge, und ich will nicht zu spät kommen. Tschüs, meine Lieben, es hat Spaß gemacht mit euch.«
    Er löschte die Kerzen, wartete, bis auch der letzte Docht nicht mehr glühte und der Rauch sich im Zimmer verteilt hatte, schloss die Tür und legte den Schlüssel an die geheime Stelle.
    Er ging wieder ins Bad, er wollte gut riechen für den großen Augenblick,

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