Teufelsleib
bereits gestern in U-Haft überstellt werden sollen, aber der Haftrichter hatte es befürwortet, ihn noch eine Nacht länger in der Zelle im Präsidium zu lassen. Vladic hatte bisher auch keinen Anwalt verlangt. Später vielleicht, hatte er gesagt, als Brandt ihn darauf aufmerksam machte, dass er Anrecht auf Rechtsbeistand habe.
Mit geschlossenen Augen dachte Brandt an Elvira. Wie gerne wäre er mit ihr für ein paar Tage weggefahren, irgendwohin, wo er seine Ruhe hatte. Dabei lag der Portugalurlaub erst wenige Tage zurück, und doch kam es ihm vor, als wären Monate seitdem vergangen.
Es klopfte, und Vladic wurde von einem Beamten in sein Büro gebracht.
»Nehmen Sie ihm die ab, bitte«, sagte Brandt und deutete auf die Handschellen.
»Wie Sie wollen.«
Während der Beamte draußen vor der Tür wartete, sah Brandt Vladic freundlich an: »Wie geht es Ihnen?«
»Nicht gut, aber das bin ich gewohnt. Seit Jovanovic meiner Familie das angetan hat, hat es nicht einen Tag gegeben, an dem ich mich gut gefühlt habe.«
Obwohl Vladic erst im Alter von siebzehn Jahren nach Deutschland gekommen war, sprach er beinahe akzentfrei Deutsch.
Brandt befragte ihn noch einmal zu den Ereignissen in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, um sicherzugehen, dass Vladic sich nicht in Widersprüche verwickelte. Der Kroate blieb weiterhin ruhig und in sich gekehrt und wiederholte in seiner monotonen Sprechweise, was sich abgespielt hatte. Wie der Zufall ihn und Jovanovic zusammengeführt habe, wie ihm fast das Herz stehengeblieben sei, als er ihn an der Theke entdeckte, wie er überlegte, ob er sich zu ihm setzen solle oder lieber woandershin, um diesem Schlächter und Frauenschänder aus dem Weg zu gehen. Aber etwas habe ihn zur Theke gezogen, der linke Platz neben Jovanovic sei frei gewesen, man sei ins Gespräch gekommen und habe sich über die alte Heimat unterhalten. Jovanovic habe behauptet, aus Bosnien zu stammen, doch das sei eine Lüge, denn schon sein Akzent habe verraten, dass er aus Serbien stamme. Es gab nicht eine Unstimmigkeit im Vergleich zu Vladic’ bisherigen Aussagen.
Brandt wollte gerade die Fotos, die man in Vladic’ Wohnung gefunden hatte, auf dem Tisch ausbreiten, als Spitzer in der Tür stand, seine Miene finster wie selten. Es war 15.59 Uhr.
»Abbrechen. Herr Vladic wird zurück in seine Zelle gebracht, du hast eine andere Aufgabe.«
Sie warteten, bis der Beamte Vladic die Handschellen wieder angelegt und mit ihm das Zimmer verlassen hatte.
»Lass mich raten …«
»Nicht nötig. Man hat eine Leiche gefunden. Weiblich, zwischen Ende zwanzig und Mitte dreißig. Bachstraße. Streife ist bereits vor Ort. Die Kollegen sagen, es liegt eindeutig ein Tötungsdelikt vor. Mach dich auf die Socken.«
»Ich hab’s gewusst, ich hab’s verdammt noch mal gewusst. Ist sie’s?«
»Keine Ahnung, find’s raus. Aber wer sollte es sonst sein?«
»Na super, diese Woche hat’s ja gewaltig in sich. Spusi et cetera sind informiert?«
»Noch nicht, ich schick die komplette Truppe gleich los, aber ich wollte dir erst mal die Gelegenheit geben, den Ort allein zu besichtigen … Mach dich darauf gefasst, dass Andrea kommen wird, sie hat Bereitschaft.«
»Danke, das versüßt meinen Tag erheblich«, bemerkte Brandt sarkastisch. »Aber das verkrafte ich auch noch.«
»Mann, ihr seid doch nicht Todfeinde. Ihr trefft euch beruflich, und damit basta. Und jetzt ab!«
»Wer hat sie gefunden?«
»Eine Hausbewohnerin, mehr weiß ich nicht.«
Brandt zog seine Jacke über und lief, nein, rannte zu dem Dienstwagen, startete den Motor und raste los. Bachstraße. Er kannte Kollegen, die dort wohnten, nur zwei Hausnummern weiter. Und jetzt lag dort eine Leiche.
Freitag, 16.21 Uhr
Z wei Streifenwagen standen vor dem Haus, ein Beamter saß im beheizten Wagen, zwei standen vor dem Hauseingang.
Brandt brauchte sich nicht auszuweisen, die Kollegen kannten ihn.
»Wo ist sie?«
»Ich komm mit Ihnen. Sieht aber nicht gerade lecker aus da drinnen.«
»Mord?«
»Wenn das kein Mord ist, was dann?«, meinte der Beamte schulterzuckend.
»Waren Sie drin?«
»Ja, aber wir haben nichts angerührt.«
Die Wohnung lag im Erdgeschoss, die Tür war angelehnt, ein weiterer Beamter hielt davor Wache. Zwei Frauen und ein Mann standen auf der Treppe, ein Kind wollte dazustoßen, wurde von dem Mann aber brüsk wieder nach oben geschickt.
»Lasst mich erst mal alleine reingehen«, sagte Brandt, zog sich die blauen Plastikgamaschen über die Schuhe
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