Teufelsmauer
den Scorpio aufgebaut.«
Das Pfeilgeschütz stand auf der Wiese, in fünfzig Metern Abstand war auf einem hölzernen Pfahl eine Strohscheibe mit aufgemalten konzentrischen Ringen in Rot und Blau aufgehängt. Russer selbst stand, nur in seiner Tunika, ohne Helm und Kettenhemd, darübergebeugt und legte gerade einen Pfeil ein.
»Schauen Sie ruhig zu«, sagte Rehling. »Unser Signifer ist ein Meisterschütze.«
»Robin Hood als Legionär«, meinte Morgenstern.
»Wenn Sie so wollen. Allerdings ist unser Scorpio jedem englischen Langbogen weit überlegen, sowohl was die Reichweite angeht als auch in Sachen Präzision. Wir sind sehr stolz darauf.«
Gebannt verfolgten die Ermittler, wie Russer das Geschütz sorgfältig in die richtige Lage brachte, dann, als Morgenstern fast schon die Geduld verlieren wollte, gab es ein kurzes Schnalzen, und der Pfeil schoss auf die Strohscheibe zu. Der Einschlag war so heftig, dass der Holzpflock wackelte.
Morgenstern, Hecht und Rehling liefen, ebenso wie Russer, auf das Ziel zu, nur um zu sehen, was sie schon geahnt hatten: Der Pfeil hatte den zehn Zentimeter schmalen schwarzen Kreis in der Mitte der Strohscheibe getroffen und fast ganz durchgebohrt. Nur das gefiederte Ende des Geschosses ragte noch heraus.
»Herzlichen Glückwunsch, Herr Russer«, sagte Hecht.
Russer, der gerade mit groÃer Mühe versuchte, den Pfeil aus der Scheibe zu ziehen, drehte sich überrascht um. »Ich habe Sie gar nicht kommen sehen«, sagte er.
»Wir wollten Ihre Konzentration nicht stören. Ganz erstaunlich, wie genau Sie treffen.«
Russer lächelte, während er weiter an dem Pfeil zerrte. Endlich war das hölzerne Geschoss befreit. »Es fasziniert mich immer wieder, wie hoch entwickelt die römische Technik war. Ich würde mich als feindlicher Soldat auch heute noch ungern einer Kampfreihe von Legionären gegenübersehen, moderne Waffen hin oder her. Sie sehen ja selbst, wie weit so ein Scorpio schieÃt.«
»Sie haben aber auch Ãbung«, sagte Morgenstern anerkennend.
»Ich gebe mein Bestes.« Russers Wangen röteten sich vor Stolz. »Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern noch ein bisschen weitertrainieren.«
»Lassen Sie sich nicht aufhalten. Wir schauen uns so lange noch ein wenig um. Kann man eigentlich auf diesen Turm hochklettern?«
Der Zenturio schüttelte den Kopf. »Da ist leider ein dickes Vorhängeschloss an der Palisade. Wenn Sie gestern in Erkertshofen oder vorgestern in Kipfenberg dabei gewesen wären ⦠da stehen die Türme offen.«
»In Kipfenberg«, wiederholte Morgenstern. »Können Sie uns erzählen, was Sie am Sonntag in Kipfenberg gemacht haben?«
Rehling räusperte sich. »Nun, wie Sie schon wissen, haben wir am Sonntag eine Pause eingelegt. Das war ein Erholungstag sozusagen. Wir haben lange geschlafen, schön gekocht. Viel Getreide auf Vorrat gemahlen.«
»Am siebten Tage sollst du ruhn«, kommentierte Hecht.
»So in etwa. Wir waren schon ziemlich weit marschiert. Das darf man nicht unterschätzen.«
Morgenstern warf einen Blick zurück zu Gundekar Russer. Der hatte in der kurzen Zeit bereits zwei Pfeile auf die Scheibe abgeschossen, alle drei ins Schwarze oder in dessen unmittelbare Nähe.
Zwei andere Legionäre hatten begonnen, mit Holzübungsschwertern aufeinander loszugehen. Morgenstern musste an seine Jungs denken, die sich bei solchen Kämpfen regelmäÃig gegenseitig auf die Finger schlugen. Hier, bei den Erwachsenen, war es kaum anders. Schon nach kurzer Zeit lieà einer der Legionäre mit einem abscheulichen Fluch sein Schwert fallen und hielt sich das rechte Handgelenk.
»Ein klarer Fall fürs Lazarett«, sagte Morgenstern.
»Ach wo, wir sind nicht wehleidig«, gab der Zenturio zurück. »Aber vielleicht erzählen Sie mir jetzt mal, was Sie wissen müssen.«
»Es geht um die Limeskönigin, Barbara Breitenhiller. Sie ist die ehemalige Freundin von Herrn Russer. Und sie ist in der Nacht zum Montag ermordet worden. Wir haben ihre Leiche in Pfahldorf gefunden.«
Rehling schwieg lange. »Das ist ja furchtbar. Aber was hat das mit unserer Kohorte zu tun?«
»Sie sind mit Ihrer Gruppe nahe am Geschehen gewesen. Herr Russer hat uns heute schon gesagt, dass er am Sonntagnachmittag am Festplatz in Kipfenberg war und die Limeskönigin kurz
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