Teufelsmauer
Trauergemeinde hatten. In der vordersten Bankreihe saÃen mit versteinerten Mienen Barbie Breitenhillers Eltern und ihre Schwester Katharina. Eine Reihe dahinter entdeckte Morgenstern den Kipfenberger Bürgermeister, begleitet von etlichen Marktratsmitgliedern, die sie ebenfalls schon tagsüber kennengelernt hatten. In der dritten Reihe, weit vorn also, hatte sich Baron Oswald von der Tann niedergelassen. Weiter hinten saÃen Ingenieur Heinrich Pietzka von der Interessengemeinschaft gegen den Freizeitpark und, ein Stück von ihm entfernt, Werner Bauernfeind, der Germane.
Eine Glocke neben der Sakristei wurde kurz geläutet, dann kam ein Geistlicher mit zwei Ministranten heraus. Die Orgel setzte ein. Mächtig hallte es durch das Kirchlein: »Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.«
Morgenstern spürte eine grässliche Beklemmung, die ihn frösteln lieÃ. Irritiert sah er zu Hecht hinüber, der voll Inbrunst mitsang. Den Text kannte der Kollege auswendig, bis zur dritten Strophe.
»Hättest von mir aus auch gerne alleine fahren können, wenn dir das so viel Spaà macht«, zischte er Hecht zu.
»Blödmann«, kam es leise zurück.
Der Pfarrer ergriff das Wort. Es sei noch offen, wann das Requiem abgehalten werden könne, denn die leibliche Hülle der armen Verstorbenen befinde sich bis auf Weiteres in den Händen der Rechtsmedizin. Der Rosenkranz biete nun die Gelegenheit, in der tröstenden Gemeinschaft der Gläubigen um Barbara Breitenhiller zu trauern.
»Viele von Ihnen werden wissen, dass dieser Tod auch mich persönlich aufs Tiefste erschüttert. Barbara war mein Patenkind, und nie werde ich jenen Sonntag vor zweiundzwanzig Jahren vergessen, als ich sie genau hier, in dieser Kirche, in meinem Heimatdorf Hirnstetten, auf meinen Armen getragen habe.«
Morgenstern warf Hecht einen langen Blick zu. »Der Onkel aus dem Vatikan, der Monsignore«, flüsterte er. »Der ist extra angereist.«
»Wundert dich das?«, wisperte Hecht zurück.
Der Monsignore versuchte derweil mit mäÃigem Erfolg, seine Gefühle vor der Gemeinde unter Kontrolle zu behalten. Umständlich zog er aus dem Ãrmel seines weiÃen Untergewands ein Taschentuch hervor und tupfte sich über die Augen. Peinliche Stille breitete sich aus, und es schien fast, als wären die Tränen des Monsignore ansteckend. Immer mehr Menschen bekamen feuchte Augen, und Morgenstern sah mit Verwunderung, dass sogar seinen Kollegen Hecht ein nervöses Zucken der Augenlider heimsuchte. Spargel hatte nah ans Wasser gebaut.
Die Situation beruhigte sich schlieÃlich, als der Monsignore mit dem Rosenkranzgebet begann. Fasziniert hörte Morgenstern zu, wie sich die rechte und die linke Seite der Kirche bei der Hälfte jedes Ave-Maria abwechselte. Hier die Männer mit ihren dunklen, dumpfen Stimmen, da die hellen Frauenstimmen. Denn in den kleineren bayerischen Dörfern wurde im Unterschied zu den Städten noch darauf geachtet, dass die Geschlechter getrennt saÃen, die Männer auf der rechten Seite, die Frauen auf der linken.
Morgenstern erkannte die Systematik der Sitzordnung erst jetzt. Nur die engsten Verwandten in den ersten Reihen hatten sich nicht an die Geschlechtertrennung zu halten. Und er wusste jetzt auch, warum er und Hecht von den umsitzenden Frauen immer wieder mit bohrender Neugierde gemustert wurden und warum Hecht ihn bei der Platzsuche so penetrant am Jackenärmel gezupft hatte. Er hatte ihn â vergeblich â aufzuhalten versucht. Sie saÃen auf der Frauenseite. Als einzige Männer.
Nach einer geschlagenen halben Stunde fand der monotone Gebetssingsang ein Ende, der zumindest bei Morgenstern keine meditative Grundstimmung ausgelöst, ihn vielmehr zunehmend zermürbt hatte. Mürrisch schaute er auf den Geistlichen, der in seinem schwarzen, mit Goldfäden durchwirkten barocken Messgewand vor dem Hochaltar kniete, mit einer altertümlichen, eckigen Kopfbedeckung, dem Birett. Morgenstern kannte diesen seltsamen Hut bisher nur aus den Don-Camillo-Filmen. Monsignore Breitenhiller war ein hagerer, groà gewachsener Mann mit scharfen Gesichtszügen und einer kräftigen, sicheren Stimme. Die Ãhnlichkeit mit seinem Bruder, dem Bauern, war unverkennbar.
Und mit besagter Stimme begann er am Ende der Andacht zu singen: »Segne du, Maria, segne mich, dein
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