Teufelsmauer
»Crazy Horse« in Nürnberg durchaus ungeahndet bleiben konnte. Zwei Ohrfeigen auf dem Eichstätter Leonrodplatz allerdings, noch dazu vor groÃem Publikum, waren in jedem Fall justiziabel. In kürzester Zeit hatte das Opfer Block und Stift aus seiner Soutane gezogen, um sich die Namen von Zeugen zu notieren, ehe sich die Zuschauer in alle Himmelsrichtungen verstreuen konnten. Als Nächstes setzte er einen Notruf ab, und keine zwei Minuten später war aus der Rettungswache des Roten Kreuzes an der nur ein paar hundert Meter entfernten GrabmannstraÃe das Martinshorn eines Krankenwagens zu hören, der sich seinen Weg zum Unglücksort bahnte.
Die Breitenhillers blieben verdattert an Ort und Stelle stehen, Hecht und Morgenstern sahen keine Notwendigkeit, in diesem Konflikt die Staatsgewalt zu repräsentieren, und verhielten sich bis auf Weiteres ruhig. Das war insofern kein Problem, da aus der gleichen Richtung wie der Rettungswagen ein Streifenwagen der Polizeiinspektion Eichstätt heranraste, den ebenfalls der misshandelte Vertreter des grundgesetzlich garantierten Rechts auf freie MeinungsäuÃerung alarmiert hatte.
»Man kann sich seine Fälle nicht aussuchen«, sagte Morgenstern, als er sah, wie den Streifenbeamten Ludwig Nieberle und Fritz Sandner angesichts des allseits bekannten Anzeigeerstatters die Mundwinkel nach unten sackten. Doch professionell nahmen die Kollegen die Aussagen der Beteiligten â die sich prompt gegenseitig anzeigten â zu Protokoll. Wie sich später herausstellte, ging es im Einzelnen um die Tatbestände Körperverletzung mit Verdacht auf Auslösung von Tinnitus, Sachbeschädigung und Beleidigung sowie im Gegenzug um Beleidigung, üble Nachrede und Volksverhetzung. AnschlieÃend fuhren die Rettungssanitäter ihren Patienten auf dessen ausdrücklichen Wunsch zur vorsorglichen Untersuchung in die Klinik am Ende der OstenstraÃe. Erst jetzt gaben Hecht und Morgenstern, die immer noch auf dem Bürgersteig auf der anderen StraÃenseite standen, ihren Beobachterstatus auf, um Kontakt zum Breitenhiller-Trio aufzunehmen.
Die drei hatten sich auf einen der Marmorquader gesetzt, die den Platz architektonisch gliedern sollten, und schwiegen. Anscheinend mussten sie das Vorgefallene erst einmal verdauen.
Morgenstern räusperte sich hörbar. »Stören wir?«
Albert Breitenhiller blickte überrascht auf und schüttelte den Kopf. »Wo kommen Sie denn auf einmal her?«
»Der Mann vom Bestattungsinstitut hat uns gesagt, wo Sie Ihr Auto geparkt haben. Und wie wir sehen, sind Sie auf dem Weg zum Domplatz aufgehalten worden.« Morgenstern deutete auf die Trümmer des Infowürfels.
»Der will mich fertigmachen«, sagte »Giovanni« Breitenhiller mit immer noch bebender Stimme. »Aber da legt er sich mit dem Falschen an, das garantiere ich ihm. Wenn es sein muss, fechten wir die Sache bis zur obersten Instanz durch.«
»Tun Sie das besser nicht«, sagte Morgenstern und entschloss sich, einen kühnen Bogen zu schlagen. »In Hirnstetten drauÃen gibt es einen Menschen, der ganz ähnlich tickt. Der wollte auch bis zur letzten Instanz gehen, allerdings in einer anderen Sache.«
»Der Heinrich Pietzka«, sagte Albert Breitenhiller. »Da haben Sie recht. Der ist vom selben Kaliber.«
»Der war vom selben Kaliber«, präzisierte Morgenstern und schaute nachdenklich zur weià getünchten Fassade der Schutzengelkirche hinüber. »Heinrich Pietzka ist tot. Hat Ihnen das noch niemand gesagt?«
Alle drei schüttelten den Kopf.
»Ich denke, wir sollten uns unterhalten«, sagte Morgenstern. »Aber nicht hier auf der StraÃe.« Er sah sich um auf der Suche nach einem geeigneten Ort. Spontan fiel ihm die italienische Bar in der LuitpoldstraÃe ein, das »LâIncontro«. Seit zwei Jahrzehnten verbreitete dieses Café in der Stadt italienisches Lebensgefühl, tatkräftig unterstützt vom gegenüberliegenden italienischen Restaurant und der ebenfalls benachbarten italienischen Pizzabäckerei. Das alles passte wunderbar zum südländischen Ambiente Eichstätts, schlieÃlich war die Stadt nach einem verheerenden Brandinferno im DreiÃigjährigen Krieg von italienischsprachigen Baumeistern wie Gabriel de Gabrieli und Mauritio Pedetti wieder aufgebaut worden. Kein Wunder, dass sich viele Touristen beim Eichstätt-Besuch in die
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