Teufelsmauer
sie noch überlegten, wie sie nun vorgehen sollten, kam Alina Baumüller zur Tür herein, ihr Notebook auf dem Arm wie ein Wickelbaby.
»Ich habe gerade im Facebook-Chat einen interessanten Hinweis bekommen. Von einer jungen Frau, die in einem Seniorenheim in Kipfenberg arbeitet.«
»Das Seniorenheim, das gleich neben dem Festplatz liegt?«
»Genau das. Sie kümmert sich da auch um einen alten Mann, der angeblich Sonntagnacht von seinem Fenster aus irgendetwas gesehen hat. Aber bisher hat ihm keiner richtig zugehört. Der plappert den ganzen Tag wirres Zeug.«
»Ein Zeuge!«, triumphierte Morgenstern.
»Ein anscheinend total verkalkter Zeuge«, bremste ihn Hecht. »Der alte König in seinem Exil. Ein verwirrter Tattergreis mit Hosenträgern.«
»Was will der Alte gesehen haben?«, beharrte Morgenstern.
»Partisanen. Er behauptet, dass Partisanen die Limeskönigin mitgenommen haben«, antwortete Baumüller.
»Ach Gott«, stöhnte Hecht. »Auch das noch. Die Weltkriegsnummer. Das ist doch unfassbar, dass alte Leute, wenn sie dement werden, sich glasklar an die uralten Geschichten erinnern, aber mit dem Hier und Jetzt nichts mehr anfangen können. Die wissen manchmal nicht mal mehr, wie sie heiÃen, können dir aber den âºErlkönigâ¹ von der ersten bis zur letzten Zeile fehlerfrei vortragen. âºWer reitet so spät durch Nacht und Wind â¦â¹Â«
»Das wüsste ich auch gerne, wer da so spät noch unterwegs ist«, sagte Morgenstern. »Auf jeden Fall nicht der Vater mit seinem Kind.«
»Sondern das Kind allein«, sagte Hecht. »Und dann kommt der Erlkönig.«
»Oder der Partisan«, grübelte Morgenstern. »Frau Baumüller, fragen Sie doch mal bei dieser Altenpflegerin nach, was sie über diesen alten Herrn und über seine Kriegserlebnisse weiÃ.« Er zögerte kurz, weil er sich daran erinnerte, wie sein GroÃvater einst kein Ende gefunden hatte, wenn ein Angehöriger bei einem Familientreffen die Rede arglos auf »die Russen« gebracht hatte. Beim momentanen Personalschlüssel in bayerischen Pflegeheimen blieb den Betreuerinnen bestimmt keine Zeit, solch epischen Schilderungen zu lauschen.
Morgenstern beschloss, dass sie den alten Mann selbst fragen mussten, wenn sie den Schleier lüften wollten. Kurz darauf hatte er Josef Menninger, einen Herrn weit in den Neunzigern, persönlich am Telefon, sorgsam von seiner Altenpflegerin auf das Gespräch vorbereitet.
»Wer ist da?«, rief er in das Handy der Pflegerin.
»Morgenstern, von der Kriminalpolizei.«
»Ah, die Polizei«, sagte Menninger. »Sie fragen wegen der Partisanen. Tedeschi bum bum.« Er lachte heiser, als hätte er einen besonders guten Witz gemacht.
»Sie haben also gesehen, dass die Limeskönigin von Partisanen gefangen genommen worden ist?«, fragte Morgenstern.
»Hä?«, machte Menninger, den anscheinend altersentsprechend nicht nur sein Gedächtnis, sondern auch sein Gehör im Stich lieÃ.
»Die Limeskönigin! Tedeschi bum bum, verstehen Sie?«, rief Morgenstern und kam sich dabei unglaublich trottelig vor. Blieb nur zu hoffen, dass sich drauÃen auf dem Flur des Präsidiums nicht schon eine Schar von feixenden Kollegen versammelt hatte.
»Die Limeskönigin«, wiederholte Menninger. »Das sage ich doch. Die Partisanen haben sie geholt.«
»Welche Partisanen, Herr Menninger?«
»Ja, die Itaker halt. Welche denn sonst?«
»Die Itaker â¦Â«
»Genau. Aber das hab ich schon im Kaukasus gewusst, dass das mit denen einmal böse endet. Damals waren sie ja noch unsere Verbündeten, wegen dem Mussolini, dem Duce. Wir waren ja die Achsenmächte. Und damals hatten wir schon einen Witz unter uns Landsern.«
»Ersparen Sie mir den bitte«, sagte Morgenstern. Natürlich vergeblich.
»Was wäre der schönste Krieg? Hä?«, fragte der alte Herr auch schon.
»Gar keiner«, sagte Morgenstern unfroh.
»Die Verpflegung von den Amerikanern, die Ausrüstung von den Russen und als Feinde die Italiener. Hahaha. So haben wir damals immer gesagt. Die sind davongelaufen wie die Hasen, im Kaukasus. Aber ganz am Ende haben sie dann die Seiten gewechselt. Da waren sie dann Partisanen.«
Morgenstern glaubte, das halb hingehustete Rattergeräusch eines Maschinengewehrs zu hören, und mochte sich lieber nicht
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