Teufelsmond
die Dorfstraße ab, huschte bis zum Köln-Leipziger Handelsweg, der am letzten Haus des Dorfes vorüberführte, und erspähte auf der anderen Seite eine große, dunkle Gestalt, die mit langen Schritten und wehendem Umhang über die Äcker stapfte. Sie deutete mit dem Finger auf den Mann. «Meinst du den da?»
«Herr im Himmel, ja doch! Es sieht aus, als käme er direkt hierher.»
Else bekreuzigte sich zwei Mal, sah sich fahrig im Zimmer um, rüttelte dann an der Bettdecke ihres Herrn. «Aufwachen, na los doch. Aufwachen, Dippel, der Michelsmüller kommt.»
Pfarrer Dippel verzog den Mund und stieß einen tiefen Seufzer aus. Er zerrte an seiner Bettdecke und versank, ohne richtig zu erwachen, erneut im Tiefschlaf.
«Lass ihn. Du siehst doch, dass er noch viel zu krank ist. Ich bin auch Geistlicher. Erzähle mir, was es mit dem Michelsmüller auf sich hat.»
Pater Fürchtegott zog die keifende Else vom Fenster weg und hinaus aus des Pfarrers Schlafkammer. Der Glenbauer trampelte hinterher.
Karla aber blieb am Fenster stehen und beobachtete den Mann, der sich mit langen Schritten näherte, den Kopf auf die Brust gesenkt, als wolle er niemanden sehen und mit niemandem sprechen.
Im Dorf hatten die Aufräumarbeiten begonnen. Unter Karlas Fenster mühten sich zwei Männer, das tote Schwein auf einen Karren zu heben. Daneben stand eine dürre Frau, deren Blicke sich über ihrer Nasenspitze kreuzten, sodass Karla nicht ausmachen konnte, wohin sie blickte. Dafür war sie umso besser zu hören. Sie hatte die Arme in die Hüften gestemmt und zeterte: «Hettrich, so tu doch was! Die Krähen, die elenden Mistviecher, haben die Augen schon rausgepickt! Und was mache ich dann heute in die Suppe? Reicht es nicht, dass unsere einzige Sau hinüber ist? Pass doch auf, Mann, wenn du das Vieh so über den Boden schleifst, reißt du mir am Ende die Schwarte noch auf.»
Der Mann, den sie mit Hettrich angesprochen hatte, wechselte mit den anderen einen müden Blick und sagte dann, ohne die Stimme zu erheben: «Halt’s Maul, Weib, und kümmere dich lieber um deinen Hauskram. Die Sau hier wird nicht gefressen.»
«So! Die Sau kommt also nicht in den Topf. Und wie, Hettrich, willst du mich und unsere Kinder durch den Winter bringen? Pack das Vieh, zerteile es, damit ich Wurst draus machen kann!»
Müde strich sich Hettrich mit dem Unterarm über die Augen. «Weib!», zischte er. «Willst du die eigene Brut vergiften? Krähen waren an der Sau. Totenvögel! Willst du uns alle ins Grab bringen?»
Das dürre Weib stampfte einmal kräftig mit dem Fuß auf, dann schrie sie dem Hettrich ein «Ach!» ins Gesicht und begab sich zu ihrem Haus.
Gegenüber sammelte ein Junge mit trotzigem Gesicht die losen Zaunlatten ein. Karla war sich sicher, dass der Kleine ein Hettrich war, denn auch über seiner Nase kreuzten sich die Blicke. Er trug einen zerlumpten Kittel und heulte ab und an laut auf, wenn er in einen Nagel oder Splitter fasste. Dann wischte er sich mit dem Ärmel den Rotz von der Backe und machte weiter. Rechts neben dem Haus waren zwei kräftige Männer damit beschäftigt, die Äste des umgestürzten Baumes abzusägen.
Der Michelsmüller hatte mittlerweile das Dorf erreicht. Stumm und blicklos eilte er die Gasse hinauf. An der Kirche hielt er inne, bekreuzigte sich, fischte nach einer Kette um seinen Hals, küsste sie und eilte weiter. Die dürre Frau mit der Sau blieb auf ihrer Hausschwelle stehen, starrte ihm mit offenem Mund nach und drehte dabei ihren Rosenkranz in den Händen; der Junge ließ die Zaunlatten fahren und wollte sich hinter den Röcken seiner Mutter verstecken, doch die jagte ihn ins Haus. Karla entdeckte sein Gesicht einen Augenblick später hinter dem mit Ölpapier verhängten Fenster. Nur die Männer, die den Baum zersägten, blieben, wo sie waren, und Karla hatte Gelegenheit, sich den geheimnisvollen Mann, vor dem sich augenscheinlich die meisten Bewohner des Dorfs Alwerode fürchteten, genauer zu betrachten. Groß war er, größer als die meisten Männer – bestimmt maß er siebeneinhalb Fuß – und dabei so schmal, dass die breiten Schultern wirkten, als trüge er ein Kreuz. Die Stiefel waren alt, aber gut gepflegt und glänzten vor Lederfett. Der Umhang, der innen mit Fell gefüttert war, wehte wie ein Banner hinter ihm her. Der Michelsmüller trug das dunkle Haar bis auf die Schultern, und den Hals zierte ein rotes Tuch, welches einen mächtigen Adamsapfel nur halb verdeckte. Sein Gesicht war schmal und
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