Teufelspfad
schmerzende Stelle. „Du hast mich erschreckt. Fall ja nie wieder so hin.“
„Dann sag den Leuten, sie sollen keine Pfähle mitten in ihren Garten rammen.“
Die Stimme von nebenan ließ sich wieder hören. Sie klang dieses Mal wesentlich näher. „Geschieht dir ganz recht, kleine Schnüfflerin.“
Baldwin bewegte sich mit Lichtgeschwindigkeit. Er zog seine Waffe und richtete seine Maglite direkt auf die Frau, sodass sie geblendet war. Es war eine ältere Frau mit einem zerzausten grauen Dutt und einem weißen Frotteebademantel, der mit kleinen Comic-Welpen bedruckt war. Wie sie es gesagt hatte, hielt sie eine Remington Kaliber 12 in der Hand. Taylor hatte das unverkennbare Geräusch, mit dem eine Patrone in den Lauf fiel, nicht gehört, also wartete die Frau entweder darauf, sie zu beeindrucken – und dazu war nichts besser geeignet als der Klang einer Pumpgun, die geladen wurde; das Geräusch war so bedrohlich, dass jeder halbwegs kluge Mensch sofort in seinem Tun innehielt –, oder die Waffe war nicht geladen und diente nur zur Abschreckung.
Taylor biss sich auf die Lippe, um nicht loszulachen. Das hier war absolut lächerlich.
„Bitte nicht schießen, Ma’am. Wir sind von der Polizei. Wir haben unsere Ausweise in unseren Taschen. Ich bin John Baldwin vom FBI und das ist Lieutenant Taylor Jackson aus Nashville.“
Die Frau grinste sie an. „Na, das nenne ich mal gute Neuigkeiten.“ Sie ließ das Gewehr sinken und streckte ihre Hand aus. „Sharon Potts. Ich bin Krankenschwester drüben im Krankenhaus. Lassen Sie mich mal einen Blick auf ihr Bein werfen. Irgendwie fühle ich mich verantwortlich, schließlich habe ich die junge Frau erschreckt. Sie sind aber auch ein wenig schreckhaft, oder?“
Taylor seufzte nur und streckte ihr Bein aus. Baldwin leuchtete mit der Taschenlampe, während die alte Frau mit den Fingern über die aufgeplatzte Haut strich. Taylor stieß zischend die Luft aus, als die Frau ihr Bein packte und verdrehte. Die Krankenschwester stand auf und strich sich ihren Bademantel über den Hüften glatt.
„Nichts gebrochen. Allerdings haben Sie das Ding gut getroffen, der Riss ist verdammt tief. Sie werden noch das ganze Auto dieses Gentlemans vollbluten. Es muss nicht genäht werden, aber etwas zur Desinfektion und ein Pflaster wären nicht verkehrt. Vielleicht brauchen Sie auch eine Tetanusspritze. Haben Sie einen Erste-Hilfe-Kasten in diesem schnieken Wagen?“
„Keinen, der schnieke Tetanusspritzen enthält“, erwiderte Baldwin. Taylor hörte das Lächeln in seiner Stimme. Er fand die Situation auch komisch. Sie atmete tief durch und riss sich zusammen. Wenn der Pretender nun hier irgendwo herumgelungert hätte … Nein, dann hätten ihre Bewacher Bescheid gegeben. Er würde sich nicht an sie heranschleichen können.
„Klugscheißer. Nun ja, Sie können sie in die Notaufnahme bringen. Da wird um diese Uhrzeit nicht viel los sein“, sagte Sharon. Hustend machte sie sich auf den Weg zu ihrem Haus, die Remington, die beinahe größer war als sie, über die Schulter geschlungen.
„Warten Sie, Ms Potts“, rief Taylor ihr hinterher.
„Ja, ja, gern geschehen“, rief die alte Frau zurück und winkte mit einer Hand, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
„Nein. Ich … also ja, vielen Dank. Aber mich interessiert noch etwas anderes. Wie lange wohnen Sie schon hier?“
Die Frau blieb stehen und drehte sich herum. „Lange genug. Warum?“
„Kannten Sie die Leute, die neben Ihnen gewohnt haben? Die Copelands?“
Potts starrte sie einen Moment lang an; in der Dunkelheit wirkte ihr Gesicht wie eine Janusmaske, grotesk und unnachgiebig. Dann lächelte sie, und ihr Gesicht veränderte sich.
„Zum Teufel, Sie kommen besser rein. Ich mache Ihnen einen Tee.“
Es war ein schlichter Tee aus dem Beutel, aber er war warm, und es gab frische Sahne und viel Zucker dazu. Taylor nippte an ihrem Becher und drückte einen Eisbeutel auf ihr Schienbein. Ms Potts hatte die Wunde versorgt, aber erst, nachdem Taylor ihr versichert hatte, dass sie erst vor sechs Monaten eine Tetanusspritze bekommen hatte. Die Metro verlangte es so – wie ein Hund musste sie regelmäßig geimpft werden.
Baldwin wirkte an dem kleinen Esstisch wie ein Riese. Sharon Potts war nur knapp über eins fünfzig groß, was sich in ihrem Haus widerspiegelte. Alles wirkte klein, kompakt und effizient. Außerdem war es sauber und gemütlich ohne überflüssigen Schnickschnack. Genau wie seine Besitzerin. Die sich nicht
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