Teufelstod: Band 2 (German Edition)
gefasst und dennoch irgendwie tröstend. Er war wie einer dieser Engel in Weiß, nur dass er Schwarz trug und von einer düsteren Aura umgeben war. Emily blinzelte. Das alles war so verrückt! Ihre Gedanken rotierten. In all dem Durcheinander in ihrem Kopf konnte sie nicht einen winzigen Funken Klarheit finden. Sie liebte Damian! Sie spürte es so deutlich in jedem Moment, da sie ihn ansah oder an ihn dachte. Gleichzeitig hasste sie ihn, fürchtete ihn, sorgte sich um ihn, beschuldigte ihn, hatte Mitleid mit ihm … Das waren zu viele Gefühle für ein einziges Herz. Noch dazu in solch einem Moment. Ihre Liebe zu Will überwog in diesem Augenblick das Chaos der Gefühle, die sie für Damian empfand. Will war die Beständigkeit in ihrem Leben. Bei ihm war alles klar – von jenem kurzen Moment einmal abgesehen, in dem sie nicht gewusst hatte, ob zwischen ihnen nicht doch mehr war. Die Liebe zu Will war rein und unerschütterlich, wie sie nur durch eine Vielzahl von Jahren und Erfahrungen entstehen kann, durch gemeinsames Großwerden. Diese Liebe war ein Teil von ihr, unschuldig und klar. Und doch so tief.
Nur vage verstand sie Damians Worte, der Annie von ihren spärlichen Informationen berichtete. Dann machte er sich auf den Weg, um auch ihr etwas Warmes zu trinken zu besorgen.
Emily sah ihm hinterher, ohne ihn richtig zu sehen. Den schwarzen Engel. Die Müdigkeit machte ihre Lider schwer.
Annie ließ sich neben ihr auf einem Stuhl nieder, und im nächsten Moment kamen plötzlich Annies Eltern hereingeschneit. Natürlich. Sie mussten Annie gefahren haben. Vermutlich hatten sie noch einen Parkplatz gesucht.
Beinahe zeitgleich kam Emilys Mutter von ihrem Rendezvous mit der Bürokratie zurück und breitete beim Anblick der Morningstars die Arme aus.
»Gladys.«
»Mary.«
Die beiden Frauen gingen aufeinander zu und nahmen sich in die Arme. Das hier war eine Kleinstadt, jeder kannte jeden, aber die Eltern der Schüler aus Emilys Klasse standen sich seit dem Unfall voriges Jahr besonders nah. Sie alle teilten das Leid. Emilys Mutter hatte vorhin gesagt, Will hätte keine Familie in der Stadt, doch das stimmte nicht ganz. Die Stadt war Wills Familie. Hier war er ein Held, und mit Sicherheit würde morgen früh sein Krankenzimmer vor lauter Luftballons und Blumen untergehen.
»John.« Emilys Mutter nickte dem rothaarigen Mann in den Pyjamahosen und dem langen schwarzen Mantel knapp zu. Auch Emily bemühte sich zu einem Lächeln und nickte, als der Blick von Annies Eltern auf sie fiel. Sie wollte weder umarmt werden noch irgendwelche tröstenden Floskeln hören. Mit dieser Geste hoffte sie, die Pyjamainvasion von sich fernzuhalten. Annies Eltern schienen zu verstehen, denn sie nahmen Platz, ohne Emily zu belästigen. Erneut wurden die Informationen der Ärzte weitergegeben und über mögliche Brandursachen spekuliert. Damian kam inzwischen mit Annies Cappuccino zurück – woher wusste er, was sie gern trank? – und entging ebenfalls der Umarmung der Morningstars. Die beiden begrüßten ihn zwar freundlich und behaupteten, Annie hätte schon viel von ihm erzählt, unterhielten sich dann jedoch weiter mit Emilys Mutter.
»Der arme Junge«, seufzte Gladys Morningstar, die in der Mitte des Raums an einem runden Tisch saß, auf dem einige Zeitschriften lagen. »Zuerst der Erdrutsch, und jetzt das. Da fragt man sich wirklich, was der liebe Gott für Zwecke verfolgt.«
Emily warf Damian einen Blick zu, doch der starrte nur geradeaus, die Zähne zusammengebissen, sodass seine Wangenknochen scharf hervortraten.
»Er ist so ein lieber Junge«, ließ sich auch John Morningstar vernehmen. »Wir waren so froh zu hören, dass Annie ihn zum Freund hat. Heutzutage sind Jungs wie er ja leider eine Ausnahme.«
»Ich hatte ihn so gern zum Essen da«, fügte Gladys hinzu. »Er isst so gerne, und ich mag es, für ihn zu kochen. Annie bringt ihn viel zu selten mit.« Sie seufzte. »Wir alle haben ihn so gern. Ich kann nicht glauben, dass das passiert ist.«
»Er ist wirklich etwas Besonderes«, meinte auch Emilys Mutter. »Und er hat es nicht leicht.«
Emily schauderte. Sie wollte diesem Geschwätz nicht mehr zuhören. Sie redeten ja alle, als wäre Will tot! Er hatte nur ein gebrochenes Bein, verdammt!
Schließlich beschlossen ihre Mutter und die Morningstars nach draußen zu gehen, um frische Luft zu schnappen und in der Cafeteria einen Kaffee zu trinken. Als sie weg waren, kehrte endlich etwas Ruhe ein.
Für kurze Zeit.
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