Teufelswasser
Aber je länger man mit so etwas wartet, desto schwieriger wird es. Mittlerweile bin ich der Einzige, der es noch weiß. Meine Eltern sind schon lange tot.»
Trautmann nahm einen Schluck Weinbrand, bevor er fortfuhr. «Vor einigen Wochen dann habe ich von Margarete erfahren, dass sie nun doch ernsthaft vorhabe, ihrem Sohn die Wahrheit über seinen Vater zu sagen. Ob es vor ihrem Tod noch geschehen ist, weiß ich nicht.»
«War Reinhold Müller damit einverstanden?», erkundigte sich Laubmann.
«Glücklich war er nicht darüber.»
Gabriela Schauberg fiel etwas anderes ein. «Wenn Reinhold Müller demnächst in den Rentenstand getreten wäre, hätte man da nicht die unterschiedlichen Geburtsjahre bemerkt? Margarete hätte erst ein Jahr später in Rente gehen dürfen.»
«Wem hätte das auffallen sollen? Die unterschiedlichen Jahreszahlen hätten sich überdies als schlichte Fehleinschätzungen aus der Kriegszeit erklären lassen.»
Otto Trautmann stand auf, ging zu einer Ablage und brachte zwei verschlossene Umschläge mit, die er vor den Augen der beiden Besucher öffnete. Laubmann hingegen hatte gehofft, er bringe was zu knabbern mit, denn er bedauerte still, dass es zum Tee nichts gab.
Die geöffneten Umschläge enthielten wiederum je ein Kuvert. Laut Aufschrift waren die Kuverts für Anton Müller bestimmt. Das eine war von Margarete, das andere von Reinhold Müller. Otto Trautmann hatte den Auftrag, sie dem Sohn zu übergeben, wenn beide Freunde verstorben waren; es sei denn, Anton Müller wäre vorher schon über seinen wahren Vater in Kenntnis gesetzt worden.
«Und falls Sie, Herr Trautmann, vor Ihren Freunden gestorben wären?» Als Theologe mit Aussicht aufs ewige Leben hatte Philipp Laubmann keine allzu großen Skrupel, das Sterben anzusprechen.
«Dann wären die zwei äußeren Umschläge ungeöffnet an Margarete und Reinhold zurückgeschickt worden. Ihre Adressen stehen vorne drauf. – Jetzt aber werde ich alles Anton Müller aushändigen, auch wenn's kein leichter Gang wird.» Trautmann seufzte und griff zum Weinbrandglas.
«Das wird vorläufig nicht möglich sein», stellte Laubmann klar. «Die Kuverts sind Beweismaterial. Die bringe ich besser den ermittelnden Beamten, damit sie, wegen des Briefgeheimnisses, mit Genehmigung des Staatsanwalts geöffnet werden können.»
«Von mir aus gern.» Trautmann war erleichtert, nicht zu Anton Müller gehen zu müssen. «Ich weiß ja so schon, was drinsteht. Margarete und Reinhold haben mich natürlich eingeweiht. Beide erklären ihrem Sohn, wie das damals in ihrer Jugend war, und sie begründen, warum sie geschwiegen haben. Zudem vererbt Reinhold im Falle seines Todes alles, was er besitzt, seinem Sohn, wohingegen der Besitz Margaretes dem Säkularinstitut gehört. Übrigens wollte Reinhold für seinen Sohn zusätzlich eine größere Summe zur Seite legen. Er hat mir gegenüber vor kurzem erst angedeutet, dass er etwas zu Geld machen will, worüber er seit geraumer Zeit verfügt. Ich weiß aber nicht, was er damit gemeint hat.»
«Ich kann's mir denken», verriet Laubmann; «die Steine.»
XXXIII
EINE BEFRAGUNG MUSSTE noch nachgeholt werden. Dazu begaben sich Lürmann und Laubmann sofort nach der Mittagszeit zum Dessousgeschäft, das in den alten Gassen Bambergs unterhalb des Doms lag, schräg gegenüber dem Antiquariat Anton Müllers. Philipp hatte immer wieder mal in diesem Bücherschatz gestöbert. An der Ladentür des Antiquars hing ein Schild mit der Aufschrift: Bin außer Haus – Komme gegen 16 Uhr wieder .
Gabriela Schauberg hatte sich auf dem Weg zum Bamberger Bahnhof von Philipp Laubmann verabschiedet, der gleich danach zu Ernst Lürmann gegangen war. Philipp fühlte sich sehr nützlich und wähnte sich allseits beliebt.
Kriminalkommissar Lürmann war schon beim Besuch des Antiquariats einen Tag nach dem ersten Mord vom nahen Dessousgeschäft sehr angetan gewesen und hätte seinerzeit gerne wesentlich länger in das Schaufenster mit der reizvollen Dekoration geschielt, hätte ihn Glaser nicht zur Ordnung gerufen. Heute jedoch, da die direkte Konfrontation zu wagen war und er, obwohl in Begleitung Laubmanns, ins Geschäft hineingehen musste, um sich bei der Inhaberin hinsichtlich der Alibis Anton Müllers amtlich zu erkundigen, heute zeigten sich bei Lürmann Anzeichen einer mehr oder weniger ernsthaften Hemmung. Aber Dienst war Dienst.
Philipp Laubmann schritt hingegen forsch drauflos. Er war im Namen einer «höheren Gerechtigkeit»
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