Teufelswasser
Sie missbilligt, dass Ihre Mutter vor Jahren in ein Säkularinstitut eingetreten ist, ja Sie missbilligen generell die Nähe zur Kirche.» Lürmann hatte ein wenig in seinem Notizbuch geblättert. «Und da haben Ihnen Ihre Eltern ausgerechnet deswegen, weil Ihr Vater Priester dieser Kirche werden wollte, seine Vaterschaft verheimlicht.»
Der Antiquar senkte den Kopf und faltete die Hände, um sie sich vor die Stirn zu halten. Mit geschlossenen Augen sagte er schließlich: «Das ist einfach falsch so, wie Sie das behaupten.» Dann richtete er den Blick auf Lürmann.
«Sie haben es Ihnen nicht verheimlicht?», wiederholte dieser als Frage.
«Doch, anscheinend schon! Es ist nur falsch, dass Sie mir unterstellen, ich hätte es gewusst.»
Kommissarin Vogt gab sich wiederum distanziert: «Sie haben Ihre Mutter nachts im Park zur Rede gestellt, und dabei ist Ihre Wut mit Ihnen durchgegangen. Vielleicht hat sich Ihr Vater zudem uneinsichtig gegeben und weiterhin alles geleugnet, weil ein unehelicher Sohn, den er immer verschwiegen hat, ein schlechtes Licht auf seinen untadeligen Dienst als Mesner geworfen hätte. Womöglich hat er aber auch nur deshalb sterben müssen, weil er gewusst hatte, dass Sie am Tod Ihrer Mutter schuld sind.»
«Nein, das ist einfach alles nicht wahr!» Anton Müller war außer sich.
Das wirkte ein bisschen zu theatralisch, fand die Oberkommissarin.
Philipp Laubmann wiegte hinter der verspiegelten Scheibe, wie des Öfteren, den Kopf hin und her und machte eine gequälte Miene, denn er war sich keineswegs sicher, ob ein Täter allein für die beiden Tötungsdelikte verantwortlich war. Es war nun mal nicht hinlänglich geklärt, ob die Todesfälle zusammengehörten, so verführerisch diese Überlegung auch sein mochte.
Und als hätte Dietmar Glaser die Bedenken des Moraltheologen gespürt, sagte er plötzlich konzilianter zu Müller: «Ich räume ein, dass die eine Tat mit der anderen in keinem Zusammenhang stehen muss, dass Sie also möglicherweise nur für eine die Verantwortung zu tragen haben. Es ist durchaus denkbar, dass Ihnen das Gericht späterhin etwas entgegenkommen wird, wenn Sie Ihre Tat gestehen.»
«Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen!», widersprach Anton Müller mit äußerstem Nachdruck.
Ernst Lürmann kommentierte die Alibisituation: «Sie haben kein Alibi, Herr Müller, weder für die eine noch für die andere Tatzeit. Ihr charmante Nachbarin von gegenüber, Frau Oberanger, hat auf unsere Nachfrage hin ausgesagt, dass Ihr Antiquariat vom 10. bis zum 14. April wegen Krankheit geschlossen war, also praktisch die gesamte Woche über, weil am 9. April Feiertag war, Ostermontag.» Beatrice Oberanger mutete Lürmann im Rückblick so anmutig an.
«Das bestreite ich doch gar nicht! Ich war zu Haus, meistens im Bett. Ich hatte eine fiebrige Erkältung.» Müller fröstelte es schier, als er seine Erkrankung erwähnte.
«Außer am Donnerstag, am 12. April. An diesem Tag waren Sie im Geschäft. Sie erinnern sich, Kollege Glaser und ich haben Sie im Antiquariat angetroffen.»
«An dem Tag habe ich eine sehr wertvolle Büchersendung erwartet – und erhalten. Der Paketdienst wird einen Beleg darüber haben.»
«Und am Mittwoch, dem 11. April?», erkundigte sich Kommissar Glaser.
«Ja, da hab ich am Abend meine Wohnung verlassen und eine Kundin aufgesucht; Adele Sieber, von der ich Ihnen erzählt habe. Ich war bis zehn Uhr dort.» Müller hatte sich mental wieder mehr im Griff. «Was bezwecken Sie denn mit dieser Frage?»
«Eine unserer Kolleginnen hat die alte Dame ebenfalls besucht – und sie befragt. Und Sie hatten recht, Frau Sieber lebt in ihrer eigenen Welt. Das Äußerliche hat für sie seine Wichtigkeit verloren. Daher sieht jeder Tag für sie gleich aus; zu Ihrem Pech. Sie hat zwar bestätigt, dass Sie hin und wieder zu Besuch kommen und Bücher vorbeibringen, aber sie konnte absolut keine genaueren Datumsangaben machen oder Uhrzeiten nennen.»
«Sie könnten folglich», ergänzte Lürmann, «zu der Zeit, als Ihre Mutter getötet wurde, sehr wohl im Park des Säkularinstituts gewesen sein.»
«Das ist ja der reinste Irrsinn hier!», schimpfte Anton Müller. «Ich war nicht im Park!»
Oberkommissarin Vogt ließ den Protest nicht gelten, hielt ihn für eine bloße Ausflucht. «Wir haben außerdem in Erfahrung gebracht, dass Sie sich am Samstag, dem 14. April – also einen Tag nach dem Mord an Ihrem Vater –, in Bad Kissingen nach Frau Gabriela Schauberg
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