Teufelswasser
träumen an; träumte von einer herbstlichen Moorlandschaft mit aufsteigendem Nebel, der überhaupt nicht kalt war. Die Bilder durchfluteten sein Gehirn im Übergang vom Wachbewusstsein zur Schlafverlorenheit, was ihm aus Schul- und Studienzeiten noch recht vertraut war …
Er musste gedöst haben, denn er konnte auf Anhieb nicht einordnen, wer bei ihm gewesen war. Er hatte nur wahrgenommen, wie ein weißgekleideter Mann die Glastür im Hin ausgehen wieder zugezogen hatte. Jemand hatte wohl für einen Moment bei ihm hereingeschaut. Aus der Nebenkabine hörte er die Stimme Reinhold Müllers, der fragte: «Sind Sie auch Badearzt?» Ein «Ja» folgte. Anschließend sagte Laubmanns Nachbar noch: «Ich glaube, das Wasser ist nicht heiß genug.»
Als Philipp Laubmann zu Ende geträumt hatte und sich seiner Umgebung wieder bewusst wurde, vermochte er die Zeit nicht abzuschätzen, wie lange er bereits in der Wanne saß. Seine Taschenuhr hatte er in seiner Hose in der Umkleidekabine gelassen.
«Ich komme gleich noch mal zu Ihnen, sobald ich nach den anderen Gästen gesehen habe.» Die leicht kommandierende Stimme der Badegehilfin war ihm inzwischen vertraut. Sie sprach mit einer ihm nicht bekannten Frau in einem der Räume, wo die Moorpackungen verabreicht wurden. Jetzt, da er sich im Moorbad eingelebt hatte, hätte er es nicht gegen Moorpackungen eintauschen mögen.
Barbara Brender kam kurz darauf zu ihm. «Bei Ihnen alles in Ordnung?»
«Bestens», gluckste Laubmann.
«Noch fünf Minuten. Ich schaue nur schnell zu Herrn Müller und nehme anschließend Frau Gutwein-Brenner die Moorpackung ab. Dann bin ich für Sie da.»
«Haben Sie sich verletzt?» Der aufmerksame Moraltheologe hatte entdeckt, dass die rechte Hand der Badegehilfin aufwendig verbunden war.
«Herrn Müllers Trinkglas ist heruntergefallen, und ich hab mich an einer Scherbe geschnitten. Kein Wunder, heute ist Freitag, der 13.»
«Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, ich werde niemals wieder ein Glas mitbringen.» Laubmann streckte die braun gefärbten Schwurfinger aus dem Wasser. Und als ihn Barbara Brender verlassen hatte, griff er nach seinem Glas auf dem Schemel und trank es aus.
Doch sie kam postwendend zu ihm zurück. «Wissen Sie, ob Ihr Nachbar aus der Wanne gestiegen ist, als ich weg war, um mir den Verband anlegen zu lassen?» So etwas war ungewöhnlich und gefiel ihr gar nicht.
Laubmann verneinte.
Die Badegehilfin Brender versuchte sich zu erinnern. «Er hat jedenfalls nicht am Notrufseil gezogen.» Beunruhigt ging sie erneut nach nebenan und sah genauer hin, denn zuvor hatte sie nur einen raschen Blick in die Kabine geworfen.
Ihr Herz schlug mit einem Mal schneller, bemerkte sie doch an der Wasseroberfläche das mit Moor überzogene Kopfhaar Reinhold Müllers. Sie nahm es wahr und wollte es zugleich nicht wahrhaben. Hektisch trat sie an den Wannenrand und langte zitternd mit der linken Hand ins undurchsichtige Wasser; die rechte Hand war ja verbunden. Sie schaffte es, den Mesner am Kinn anzufassen, und sie neigte seinen Kopf so nach hinten, dass nun sein Gesicht an der Wasseroberfläche zum Vorschein kam. Augen und Mund waren geöffnet, und es schien, als würde die Moorbrühe daraus hervorquellen. Mit einem Aufschrei, ihrem zweiten an diesem Tag, ließ sie den Mesner sofort wieder los, und der Kopf versank langsam im Moorbad.
Ehe sie realisiert hatte, was wirklich geschehen war, und indem sie von der Wanne mit Entsetzen zurückwich, erschrak sie ein weiteres Mal fast zu Tode; denn direkt hinter ihr war eine mit Moorschlamm bedeckte Gestalt aufgetaucht. Ihr wurde schwindelig und übel, und sie konnte sich kaum auf den Beinen halten.
Dr. Laubmann fing sie auf. Neugierig geworden, war er ohne ihre Erlaubnis aus seiner Wanne gestiegen und herübergekommen. Nur das Badetuch hatte er sich um seinen Bauch geschlungen, sich aber nicht gereinigt.
VIII
«MEINE SEHR VEREHRTEN DAMEN UND HERREN, wir schließen unser Bad heute schon etwas früher. Sofern die Kriminalpolizei Ihre Personalien bereits hat und Sie nicht näher befragen möchte, bitten wir Sie, das Gebäude bis 20 Uhr zu verlassen.» Waldemar Vielhauer, der Direktor des Alten Kurbads, hatte seine Lesebrille mit den kleinformatigen, schmalen Gläsern abgenommen, ins Futteral gelegt und dieses in der Seitentasche seines maßgeschneiderten Jacketts verschwinden lassen, ehe er in Absprache mit der Kriminaloberkommissarin Juliane Vogt vor einige der Gäste und Angestellten seines Hauses
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