Teufelswasser
bedauernde Miene, «tritt unweigerlich der Tod ein.»
***
«Exhaustus!» Dr. Philipp Laubmann war der lateinische Begriff eben mal so eingefallen, und er hatte ihn seinem Badearzt Dr. Rüdiger Pabst geradezu hingeworfen, weil er dachte, ein Arzt müsse Latein verstehen. Pabst verstand Laubmann aber nicht, ja hatte nicht die geringste Ahnung, was dieser Moraltheologe von ihm wollte.
Philipp repetierte: «Exhaustus! – Erschöpft! Partizip Perfekt!». Er wollte den Arzt unbedingt von seiner sprachlichen Versiertheit überzeugen. «Exhaustio – die Erschöpfung!» Trotz schwang in der Stimme mit. «Ich bin erschöpft! Das Moorbad hat mich körperlich erschöpft!» – Doch von seinem Arzt erfolgte keine Reaktion, abgesehen von einem kaum merklichen Kopfschütteln.
Dabei entsprach Laubmanns Selbstdiagnose der Wahrheit. Die Moorbadwärme wirkte, wie angekündigt, in seinem Kreislauf nach. Er hatte seine Brille auf dem Nasenrücken nach vorne geschoben, damit die Gläser nicht an der Innenseite beschlugen. Zudem hatte Laubmann, in Hemd und Hose, der inneren Hitze wegen seine Wolljacke wohlweislich abgestreift und über die Stuhllehne gehängt. Mit gerötetem Gesicht und Schweißperlen auf der Stirn, die ihn zum Stofftaschentuch greifen ließen, saß er neben Dr. Pabst in der Runde der Zeugen.
Außer ihnen war die Badegehilfin Brender anwesend, die mit der linken Hand die verbundene rechte hielt, um sie zu schützen. Tatsächlich aber schien Barbara Brender eher in ihrer Psyche verwundet zu sein. Das unselige Ereignis in der Moorbad-Abteilung hatte sie angegriffen. Ihre Dienstkleidung war noch immer moorbeschmutzt. Dr. Pabst, der den toten Reinhold Müller als Erster untersucht hatte, hatte seine verschmutzte Arztkleidung zwischendurch gegen eine saubere Garnitur getauscht.
Der Badegehilfin zur Seite hatte ihre Patientin Dr. Ida Gutwein-Brenner Platz genommen, die auf die Anwendung von Moorpackungen schwor. Die selbstbewusste 53-Jährige besaß in Düsseldorf eine Apotheke in günstiger Lage. Sie hatte Kapital zur Verfügung und war fortwährend an lukrativen Investitionen interessiert. Auch in Bad Kissingen. So ließ sich die angenehme private Kur vielleicht mit dem Nützlichen verbinden. Ida Gutwein-Brenner war verheiratet, doch die Apotheke gehörte ihr allein. Brille, Handtasche und Kostüm waren modisch und teuer. Ihre pechschwarz gefärbten schulterlangen Haare hatte sie für die Behandlung zu einem Zopf geflochten und nicht wieder gelöst.
Der spärlich, ja steril eingerichtete Aufenthaltsraum für das Kurbad-Personal hatte düstergrau gestrichene Wände und besaß den Charme einer Aussegnungshalle. Das Licht der Deckenspots hob die Sterilität zusätzlich hervor, anstatt sie zu dämpfen. Früher hatte man sich hier wenigstens zu zünftigen Zigarettenzirkeln verabreden können, aber das war längst verboten. Nur der Blick aus dem Fenster auf einen Ausläufer des Kurgartens und auf die Abenddämmerung wirkte ein wenig versöhnlicher. Immerhin konnten Kaffee und Tee zubereitet werden. Diesmal war von Barbara Brender jedoch nur Mineralwasser ausgeschenkt worden. Kein Heilwasser freilich.
Der Raum war einfach langweilig, und die Anwesenden schwiegen. Niemand war auf Laubmanns lateinischen Sprachwitz-Versuch eingegangen. Sie warteten auf kargen Stühlen um einen kargen Tisch. Außerdem befanden sie sich unter Aufsicht. Die uniformierte Polizeiobermeisterin Cordula Hilder war dazu von Staatsanwalt Geißler beauftragt worden. Die Zeugen sollten sich nicht vom Fleck rühren. Für die verheiratete 27-Jährige, die rasch befördert werden wollte, um mit ihrer Familienplanung nicht ins Hintertreffen zu geraten, war dies einer der ersten größeren Fälle, an denen sie als Polizeibeamtin in Bad Kissingen beteiligt war. Sie stand neben der Tür und hatte sich ein wenig an die Wand gelehnt.
Philipp Laubmann betupfte sich zum wiederholten Mal mit seinem Stofftaschentuch die Stirn, das mit seinen blauen und roten Streifen höchstens so aufregend wie ein Küchenhandtuch gestaltet war, als Oberkommissarin Juliane Vogt den Aufenthaltsraum betrat. Sie schloss die Tür und setzte sich auf einen der freien Stühle, um eine eingehendere Befragung der für den Tathergang unmittelbaren Zeugen durchzuführen. Sie schilderte ihnen diesen Hergang, wie sie ihn von der Pathologin erfahren hatte.
Barbara Brender konnte die Beschreibung kaum ertragen; Dr. Gutwein-Brenner gab sich hingegen ungerührt; Dr. Laubmann tat der Mesner leid;
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