Teufelswasser
und Wendungen des Aufstiegs geistig-spielerisch mitzuvollziehen. Von den Fenstern aus schienen die vier Türme des Bamberger Doms greifbar nahe zu sein.
Auch in der Dachwohnung des moraltheologischen Onkels guckte sie sich gerne um. Ihr Blick fiel auf die zahlreichen Bücherstapel, die seit ihrem letzten Besuch abermals gewachsen waren, obwohl sie damals schon gedacht hatte, dass keine Aufstockungen mehr möglich seien. Anschließend betrachtete sie sich prüfend in einem Spiegel mit Palisanderrahmen. Dann riskierte sie es sogar, in einen der Schränke zu spitzen, in dem ihr Onkel seine heimlich erworbenen Priestergewänder aufbewahrte. Er war in Johannas Augen ein besonders ausgeprägtes Exemplar dieser merkwürdigen Erwachsenenwelt.
Während das Teewasser kochte, teilte sie Philipp auf dessen neugierige Nachfrage hin mit, dass sie trotz der Osterferien in der vergangenen Woche bereits im Internat gewesen sei, um für ihre Prüfungen zu lernen. Fürs Wochenende sei sie nach Bamberg gefahren und habe sich mit Freundinnen getroffen. Und heute, am ersten Tag nach den Osterferien, hätte sie frei, wegen eines wichtigen Arzttermins. Von dem sei sie gerade zurück.
Laubmann erkundigte sich, was ihr fehle.
Johanna wurde ein wenig rot: «Ich war bei meiner Frauenärztin.» – Sie war eben kein Kind mehr. Das hatte Laubmann bisher noch gar nicht so recht wahrgenommen.
Ganz unbefangen bestaunte Johanna die Gelehrsamkeit ihres Onkels, die aus vielen Einrichtungsgegenständen zu sprechen schien: den Büchern, die mit Notizzetteln und Lesezeichen gespickt waren, den Batterien von Karteikästen, dem Stehpult oder dem breiten Schreibtisch, der so sehr mit Manuskripten, Stiften und Ordnern belegt war, dass kaum Platz zum Schreiben blieb. In einer der Bücherwände war so etwas wie ein Alkoven ausgespart, in dem ein weich gepolsterter Ohrensessel für Laubmanns Ruhezeiten zur Verfügung stand.
«Deine Jacke riecht nach Rauch», bemerkte Johanna, woraufhin Philipp zugab, dass er gestern im Säkularinstitut eine Zigarre geraucht habe. «Und zwischen deinen Büchern sind Wollmäuse.»
«Ja», sagte er gedehnt, «aber die gräulichen Staubflocken vermehren sich wie von selbst, als seien sie lebendig.»
Sodann servierte Philipp seiner Nichte schwarzen Tee, obgleich er ansonsten mehr für Kamillen- oder Pfefferminztee zu haben war. Er liebte es, geladenen Gästen Speisen, Getränke und Geschirr möglichst in ein und derselben Farbe zu kredenzen. Und diesmal war weiß an der Reihe: Den Tee gab's mit Sahne, dazu weiße Zuckerwürfel, weiße Servietten und zwei weiße Teller für die auf einer silbernen Etagere gereichten weißen Plätzchen. Der Etagere obenauf lagen zudem kandierte und mit Puderzucker bestäubte «Zingiber-Stückchen».
«Das Wort hab ich ja noch nie gehört.»
Onkel Philipp war auf diese Rückfrage gefasst. «Eine untergegangene Bezeichnung für Ingwer; kommt aus dem Lateinischen …»
«Ingwer mag ich.» Johanna nahm sich eins der Stückchen.
«… ursprünglich sogar aus dem altindischen Wortschatz. ‹Zingiber› bedeutet ‹hornförmig› und beschreibt die Form der Ingwerwurzel.»
«Du bist sehr gebildet.»
«Das stimmt.» – Warum auch sollte er sich verstellen?
In einem Bamberger Trödel-Laden hatte Laubmann einmal Teelöffel mit weißen Plastikgriffen gesehen und natürlich sofort zugelangt. Diese vervollkommneten jetzt das Arrangement. Johannas weißer Blazer passte ebenfalls dazu; nur Philipps mattgrüne Wolljacke nicht.
Angeregt durch Tee und Ingwer plauderte Johanna Laubmann, die auf dem Sofa neben dem Teetischchen saß, munter drauflos und schwärmte, dass ihre und Philipps Mutter in Bad Kissingen ein Wellness-Wochenende verbracht hätten, heute aber wieder in Bamberg eintreffen wollten.
Laubmann war verblüfft.
«Bist du ihnen gar nicht begegnet?»
Er verneinte stumm.
«Außerdem hat eine Elisabeth aus Neuseeland sie begleitet.» Johanna lächelte erstaunlich hintergründig für ihr Alter. Sie hatte Elisabeth am Samstagvormittag kennengelernt. «Ich glaube, die hätte dich gern in Bad Kissingen überrascht!»
Das machte Philipp nun vollends perplex.
Zu allem Überfluss begann die pubertierende Johanna ihren Onkel auch noch über Elisabeth auszufragen, woher er sie kenne, ob sie ihm gefalle, ob er vielleicht gar in sie verliebt sei und ähnlich schwerwiegende Dinge.
Philipp hatte keine Ahnung, was er antworten sollte. «Davon weiß ich bisher gar nichts.»
«Aber du bist doch älter
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