Teufelswasser
Angreifers zu spüren und das Messer, wie es durch Luft schnitt. Sie wollte nichts anderes, als nur hinein in die absolute Dunkelheit des dahinterliegenden Raums.
Mit all ihrer Kraft zog sie die Eisentür mit beiden Händen von innen zu. Die scharfe Klinge des Messers, das auf sie niederstach, blieb zwischen der Tür und dem eisernen Rahmen stecken und brach ab. Angsterfüllt suchte sie mit zitternden Händen den Metallriegel an der Innenseite, den sie beim Aufreißen der Tür wahrgenommen hatte. Denn sie wusste, dass derjenige, der sie töten wollte, im nächsten Moment die Tür ebenfalls aufbekommen würde. Als ihre Hände endlich den Riegel fanden, schob sie ihn mit aller Gewalt vor, was einen dumpfen Knall verursachte.
Der Angreifer schlug im selben Augenblick von draußen wie irrsinnig mehrfach auf die Klinke und trat mit dem Fuß gegen die Tür. Aber das ließ Gabriela mit einem Mal erstaunlich kalt. Der Wandel in ihr hatte sich von einer Sekunde zur anderen vollzogen. Sie fühlte sich plötzlich behütet, als würde Gott seine Hand über sie halten, als wäre sie in seiner Güte aufgehoben.
Nach einer langen Zeit des Lauschens und des Verharrens in der Dunkelheit hatte Gabriela Schauberg einen Lichtschalter nahe der Tür ertastet. Sie hatte sich in einen Lagerraum geflüchtet. Die überstandene Todesangst zeigte Wirkung; Gabriela fühlte sich schwach, hatte Atemnot, empfand den Schmerz in ihrem Herzen. Die Spitze der Klinge war noch immer auf sie gerichtet.
XXIV
PHILIPP HATTE ERST WENIG SCHLAF GEFUNDEN, als das Telefon klingelte. Verstört wollte er aufstehen, um zum Apparat in seinem Arbeitszimmer zu gelangen, bis er wahrnahm, dass er ja nicht daheim, sondern in einer Pension in Bad Kissingen war. Und hier schellte dieses Ding auf dem Nachtkästchen, direkt neben ihm.
«Hallo.» Laubmanns Stimme war rauh.
«Gabriela Schauberg. Verzeihen Sie, dass ich so früh anrufe, aber mir ist etwas Scheußliches passiert. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan und war stundenlang auf dem Polizeirevier. Jemand hat mich verfolgt und angegriffen. – Können wir uns bitte treffen?» Gabriela rief von ihrem Hotel aus an. Auch ihre Stimme klang mitgenommen.
Philipp gähnte vor Schreck und rieb sich mit der freien Hand die Augen, um wach zu werden. «Ich muss mich aber erst anzieh'n.» Dennoch sagte er zu, in Kürze zum Maxbrunnen im Kurgarten zu kommen.
Sein Schlaf war unruhig gewesen. Die Gala-Nacht hatte sich durch Glöckleins Problem in die Länge gezogen. Und danach hatten beide wieder Hunger verspürt und sich an feinsten Süppchen sowie süßlichem Wein gütlich getan. Freilich waren nun, um drei viertel sieben am Morgen, alle Eindrücke der Nacht sehr verschwommen.
Laubmann erhob sich soeben von seiner Lagerstatt, als ihm sein handliches Diktiergerät von der Bettdecke rutschte und zu Boden fiel. Da erinnerte er sich, dass er in der vergangenen Nacht, bereits auf dem Bett liegend, noch ein paar theologische Gedanken zum Thema «Nacht, Tag und Schlaf» hatte festhalten wollen. Es heiße zwar «carpe diem», aber warum sollte der Spruch nicht auch – für Nachtmenschen und positiv erwogen – in «carpe noctem» umgewandelt werden können?
Jetzt bemerkte er, dass das Band des Diktiergeräts voll war. Das Gerät hatte sich am Ende automatisch abgeschaltet. Neugierig steckte er einen Hörknopf in die Ohrmuschel, spulte das Band ein wenig zurück und hörte kurz rein – doch er vernahm nichts anderes als durchdringende Schnarchgeräusche. Das empfand er als so blamabel, dass er während der Morgentoilette das ganze Band, ohne weitere Prüfung, löschte.
Der Himmel war grau, als Philipp sich auf den Weg machte, was seiner eigenen melancholischen Stimmung vollkommen entsprach; und nicht nur heute. Es gefiel ihm auch, dass an diesem frühen Samstagmorgen im Kurbereich noch alles so still war: der Rosengarten oder die Kuranlagen an der Saale und bei der Wandelhalle. Noch nicht einmal Kehrmaschinen waren unterwegs.
Der Maxbrunnen – ein Sauerbrunnen und die älteste der Kissinger Heilquellen – war wie ein kleiner Tempel gestaltet und nach dem bayerischen König Max I. Joseph benannt. Gabriela Schauberg, in ihrem dunkelblauen Mantel, wartete schon auf Philipp Laubmann. Sie schilderte ihm ihr unerfreuliches Erlebnis. Blass und übernächtigt sah sie aus. Aber sie hatte den Mut bewiesen, allein von ihrem Hotel aus hierher zum Maxbrunnen zu kommen, denn sie wollte sich nicht einer sich unkontrolliert
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