Teufelswasser
erkennen zu können, ihre Beweggründe.
Den Sonntag hatte er in seiner Pension vorwiegend verschlafen. Erst am Abend hatte er mit Gabriela Schauberg, die allein im Thermalbad gewesen war und Albert Glöcklein dort angetroffen hatte, gemeinsam die abendliche Sonntagsmesse besucht. Der Herr Prälat habe Schwimmflossen an den Füßen gehabt, wusste sie zu berichten; wohlgemerkt im Thermalbad, nicht im Gottesdienst.
Schon zeitig am Morgen waren Lürmann und Laubmann mit dem Dienstwagen auf der Autobahn in Richtung Frankfurt unterwegs. Sobald sie die Höhen des Spessarts erreicht hatten, fielen Lürmann, dem Kriminalbeamten, die Geschichten von den Räubern ein und die vom Wirtshaus im Spessart , wobei er sich letztlich lieber das Wirtshaus als die Räuber vergegenwärtigte.
Der Verkehr war flüssig. Hinter dem Frankfurter Stadtwald tauchte die Silhouette der Hochhäuser auf. Trotz des Navigationssystems im Dienstwagen gelangten sie rasch ins Zentrum. Laubmann sah lange auf den Messeturm und erzählte Lürmann von der herbstlichen Buchmesse, die er als Theologe bereits mehrfach besucht hatte, vom alljährlichen wirtschaftlichen Triumph des Buches oder von den Eitelkeiten, denen er dort begegnet war. Er träumte jedoch davon, seine Habilitationsschrift auch irgendwann auf der Messe gedruckt offerieren zu dürfen.
Nachdem sie zweimal ziemlich verkehrswidrig gewendet hatten, waren sie in der richtigen Straße. Engel hatte seinen Firmensitz und seine Wohnung im obersten Stockwerk eines Hochhauses, das inmitten von Bankgebäuden lag, und das er gebaut hatte. Die beiden Besucher aus Bamberg durften, nach vorheriger Vereinbarung, in der hauseigenen Tiefgarage parken und dann mit dem Lift bis hinauf zum Penthouse fahren.
Im Flur oben wurden sie von einer Empfangsdame begrüßt, die streng gekleidet und streng frisiert war. Sie beachtete Lürmanns Dienstausweis gar nicht weiter, sondern bat die Herren eilfertig, für einen Moment Platz zu nehmen. Die Dame lächelte so gekünstelt, als wolle sie nur ihre makellosen Zahnimplantate vorzeigen. Dem Namensschild auf der Empfangstheke war zu entnehmen, dass sie Lore Hämmerlein hieß. Sie ging dienstbeflissen und raschen Schrittes zu Engels Büro, um die Gäste anzumelden.
Ernst Lürmann kam sich übergangen vor. «Sehr eifrig, die Dame. Hält sich wohl für den guten Geist des Penthauses.»
«Nomen est omen», raunte Laubmann, und Lürmann wartete wenig gelassen seine Erklärung ab. « Meister Hämmerlein ist ein, freilich veralteter, Ausdruck für einen unsichtbaren hilfreichen Hausgeist, also einen sagenbehafteten Kobold, der jedoch, in Rage versetzt, als ein Klopf- oder Poltergeist die Hausbewohner zu ärgern vermag.»
Hier war es allerdings erstaunlich ruhig. Die Türen in den breiten Gängen links und rechts waren geschlossen. Lürmann und Laubmann hatten in der Tiefgarage ihre Mäntel übergestreift, weil sie's für vornehmer hielten, im Mantel zu erscheinen; Laubmann in seinem grauen Überzieher, Lürmann in seinem ältlichen Stoffmantel mit grau-weißem Fischgrätenmuster. Sie entledigten sich ihrer Mäntel, indem sie diese an die Garderobe hängten. Anschließend begaben sie sich zu einer schwarzledernen Sitzgruppe vor einer gläsernen Außenwand.
Der Blick der beiden Wartenden in ihren Ledersitzen schweifte alsbald durch die Glasfront über die Stadt: die nahen Banktürme, die Eigenheim-Siedlungen in den Vorstädten und die Waldgebiete des Taunus in der Ferne. Laubmann griff gleich nach mehreren Schokoladen-Stückchen, die in einer Schale lagen, riss die Aluverpackungen auf und aß die Süßigkeiten unverzüglich. Er hatte die gesamte Fahrt über gehungert.
«Herr Engel möchte Sie jetzt sprechen», sagte die zurückgekehrte Empfangsdame, schon wieder lächelnd.
«Falsch», antwortete Lürmann; «wir möchten ihn sprechen», und ihr Lächeln gefror.
Er und Laubmann erhoben sich mühsam aus den tiefen Sesseln und betraten gleich darauf das riesige Büro ihres Gastgebers. Die Empfangsdame ließ die Tür von außen leise ins Schloss gleiten.
‹Rein in die Höhle des Baulöwen›, sinnierte Philipp, obwohl er sofort bemerkte, dass der lichte Raum mit dem weiten Ausblick so gar nicht einer Höhle glich. Das Büro wirkte eher wie ein Ausstellungsraum: Baupläne an Stellwänden und ganze Stadtteilmodelle unter Glasstürzen waren zu besichtigen. Das erinnerte an die Gala im Kissinger Regentenbau. Der Schreibtisch war aufgeräumt, fast leer.
Friedolin Engel, im
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