Teufelswasser
Philipp war fast grimmig ob der Dringlichkeit, mit der Glöcklein auftrat. Doch Gabriela meinte verständnisvoll, es mache ihr nichts aus, alleine zu gehen; es sei ja nicht so arg weit. Denn warten mochte sie nicht. Der Herr Prälat habe sicher triftige Gründe.
Glöcklein war ihr dankbar.
Er bat Laubmann nach draußen, weg von dem Trubel. Sie durchquerten den zum großen Saal hin offenen «Weißen Saal», in welchem sich noch viele der Gäste prahlend oder räsonierend aufhielten, und gingen hinaus in den «Schmuckhof», der von Arkaden umgeben war. Hier war niemand. Das Licht aus dem «Weißen Saal», das durch die hohen Glastüren schien, beleuchtete die Skulpturen, die antiken Gottheiten nachgebildet waren, nur indirekt. Das Außenlicht war abgeschaltet. Glöcklein und Laubmann setzten sich in einer künstlerisch gestalteten Muschelgrotte auf eine gedrechselte Bank aus «Spessart-Eiche». Die wohltuende Dunkelheit und die empfindliche Kühle der Nacht umfingen sie. Gut, dass Philipp bereits seinen grauen Mantel übergestreift hatte.
Der Prälat redete leise, als würde er Spitzel befürchten, und erzählte Laubmann sehr zurückhaltend, als müsste er auf dessen Spott gefasst sein, von seinem Besuch in der Spielbank.
Philipp Laubmann lachte auch prompt laut auf, obgleich ihn bei Glöcklein nichts verwunderte. «War nicht im Gebäude, in dem die Spielbank residiert, einstmals ein Kurbad untergebracht? Sie haben wahrscheinlich geglaubt, Sie könnten dort in Geld baden .»
Aber Prälat Glöcklein ließ sich nicht beirren. «Ich habe mich als Seelsorger – ganz im Gegensatz zu Ihnen als Theologen – um alle Schäflein zu kümmern, gerade wenn sie sich verirrt haben. Sogar um die theologisch verirrten.» Eine Spitze gegen Laubmann. «Die Sünde und den Teufel kann man nur dann erkennen und bekämpfen, wenn man weiß, wo sie einem begegnen.»
Der Theologe in Laubmann fühlte sich herausgefordert. «Ein vergessener mittelalterlicher Mystiker hat geschrieben, die Nasenscheidewand des Menschen sei ein Zeichen dafür, dass er befähigt sei, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Der Teufel besitze dagegen nur ein einziges Nasenloch. Logisch, er braucht keinen Unterschied zu machen.»
«Was wollen Sie damit andeuten?»
«Dass Sie glauben, Ihre Nase überall reinstecken zu müssen, um zwischen gut und böse unterscheiden zu können. Wir wissenschaftlichen Theologen nutzen mehr den Verstand.»
«Als ob Sie nicht ebenfalls herumschnüffeln würden. Sie geben doch nur zu gern den begnadeten Kriminalisten.» Glöcklein musste sich beherrschen, um nicht vollends in Wut zu geraten.
«Touché!», sagte Laubmann, obwohl ihm die geistigen Auseinandersetzungen mit dem Prälaten allzeit gefielen. «Aber ich nehme an, Sie möchten mit mir über etwas anderes sprechen.»
«Ja, das ist richtig», gestand Albert Glöcklein. «Ich habe nämlich in der Spielbank völlig unbeabsichtigt Kenntnis von einem konspirativen Treffen erhalten. Herr Engel, unser Gastgeber, hatte sich dort mit einigen Investoren verabredet, und ich musste feststellen, dass er und seine rechte Hand, dieser Schilf, anscheinend wenig Skrupel haben, wenn es um die Durchsetzung ihrer Kapital-Interessen geht.»
«Sie denken dabei an die Morde?»
«So weit will ich mich nicht vorwagen, aber möglich ist alles.»
«Haben Sie etwas gehört, das der Sonderkommission ‹Zwillinge› bei ihren Mord-Ermittlungen weiterhelfen könnte?»
«Gott sei Dank nicht. Nur, die Herrschaften haben mich leider dabei ertappt, dass ich sie ein wenig belauscht habe. Ich betone noch einmal: völlig unbeabsichtigt.»
«Ich weiß, wie so was geschieht», gab Laubmann zu. «Mir passiert das auch gelegentlich.»
«Und wie verhalten Sie sich dann?» Der Prälat wirkte verunsichert.
«Ich versuche mich geschickt aus der Affäre zu ziehen – manchmal sogar mit einer Unwahrheit.»
«Wie grausig!» Glöcklein war sich nicht im Klaren, ob er mehr über seinen eigenen Lauschangriff oder über Laubmanns Eingeständnis, der Unwahrheit zu frönen, schockiert sein sollte.
«Ganz offen gefragt, Herr Prälat: Haben Sie Angst?»
Albert Glöcklein fiel es schwer, unbefangen zu antworten. «Ich werde unter Druck gesetzt. – Vorhin haben mir zwei Herren, die mir nicht bekannt sind, überdeutlich zu verstehen gegeben, dass sie meinen Spielbankbesuch – der rein seelsorgerische Ursachen hatte! – meinem Bischof als etwas furchtbar Verwerfliches schildern würden. Anonym natürlich. Sie würden
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