Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
Vom Netzwerk:
Grippe hatte - als könnte man ihm mit Suppe und Büchern über die Krankheit hinweghelfen. Sie schlichen in ihrem
eigenen Haus auf Fußspitzen herum, als befürchteten sie, jedes Geräusch könnte seinem Zustand abträglich sein. Es war sonderbar, dass sie sich so sehr um ihn sorgten, wenn sie es doch für möglich hielten, dass er einem Mädchen, das sie ebenfalls geliebt hatten, so etwas Entsetzliches angetan hatte.
    Aber als schließlich keine direkte Gefahr mehr bestand, dass er angeklagt werden würde, zogen sich seine Eltern nach und nach von ihm zurück und beschäftigten sich wieder in erster Linie mit sich selbst. Sie liebten ihn, und sie waren bereit gewesen, es mit der ganzen Welt aufzunehmen, als es den Anschein hatte, dass er wegen Mordes vor Gericht gestellt würde. Als sich jedoch abzeichnete, dass er nicht ins Gefängnis musste, wirkten sie erleichtert, kaum dass er die Koffer packte.
    Er hatte neun Monate lang bei ihnen gewohnt, und als Glenna fragte, ob er sich die Miete mit ihr teilen wolle, musste er nicht lange überlegen. Nachdem er ausgezogen war, sah er seine Eltern nur noch, wenn er sie zu Hause besuchte. Sie trafen sich nicht in der Stadt zum Essen, gingen nie zusammen ins Kino oder einkaufen, und sie blieben auch Glennas Wohnung fern. Wenn Ig zu Hause vorbeischaute, musste er manchmal feststellen, dass sein Vater nicht da war, sondern in Frankreich auf einem Jazzfestival oder in Los Angeles, um an einem Soundtrack zu arbeiten. Er wusste nie im Voraus, was sein Vater plante, und sein Vater rief ihn auch nicht an, um ihn auf dem Laufenden zu halten.
    Hin und wieder saß Ig mit seiner Mutter auf der Veranda, und sie unterhielten sich über Belanglosigkeiten. Als Merrin gestorben war, hatte er gerade vorgehabt, eine Stelle in England anzunehmen, aber das, was geschehen war, hatte
ihn komplett aus der Bahn geworfen. Er erzählte seiner Mutter, er wolle wieder studieren und habe sich Bewerbungsunterlagen für die Brown und die Columbia schicken lassen. Das stimmte auch; sie lagen in Glennas Wohnung auf der Mikrowelle. Sie hatten sie als Unterlage für ein Stück Pizza verwendet, und auf einigen Blättern zeichneten sich die getrockneten braunen Halbkreise einer Kaffeetasse ab. Seine Mutter spielte bereitwillig mit und ermutigte ihn, ohne irgendwelche unangenehmen Fragen zu stellen, von wegen, ob er sich denn schon an einer der Universitäten vorgestellt habe und ob er auf der Suche nach einem Job sei, um die Zeit bis dahin zu überbrücken. Keiner von beiden wollte die zerbrechliche Illusion gefährden, alles käme wieder in Ordnung, Ig würde mit der Zeit schon die Kurve kriegen, und sein Leben würde wieder seinen gewohnten Lauf nehmen.
    Bei seinen seltenen Besuchen zu Hause fühlte er sich nur dann einigermaßen wohl, wenn ihm Vera Gesellschaft leistete, seine Großmutter, die bei seinen Eltern lebte. Er wusste nicht genau, ob sie sich daran erinnerte, dass er einmal wegen Mordes verhaftet worden war. Die meiste Zeit saß sie - nach einer Hüftoperation, die unerklärlicherweise überhaupt nichts geholfen hatte - im Rollstuhl, und Ig ging mit ihr auf dem Kiesweg spazieren, der durch den Wald nördlich vom Haus seiner Eltern führte, bis zu einem Aussichtspunkt, wo sie das Queen’s Face sehen konnten, eine hohe Felsenklippe, von der aus die Drachenflieger starteten. An warmen, windigen Julitagen ließen sich dort bis zu fünf oder sechs von den Aufwinden emportragen - Drachen in tropischen Farben, die in der Ferne über den Himmel glitten. Wenn Ig mit seiner Großmutter zusammen war und zuschaute, wie sich die Drachenflieger den Winden vor
dem Queen’s Face anvertrauten, hatte er fast das Gefühl, wieder genau derselbe zu sein, der er gewesen war, als Merrin noch lebte - jemand, der gern anderen Menschen half und den Duft der freien Natur genoss.
    Als er den Hügel hinauffuhr, sah er Vera im Hof vor dem Haus im Rollstuhl sitzen, einen Krug Eistee auf einem Beistelltisch neben sich. Ihr Kopf hing in einem schiefen Winkel herab; offenbar war sie in der Sonne eingenickt. Vielleicht hatte Igs Mutter bei ihr draußen gesessen - auf dem Gras war eine karierte Decke ausgebreitet. Die Sonne brach sich in der Glaskaraffe und verwandelte ihren Rand in einen Lichtkreis, einen silbernen Heiligenschein. Es war ein äußerst friedlicher Anblick, aber kaum hatte Ig den Motor abgeschaltet, geriet sein Magen in Aufruhr. Genau wie in der Kirche. Nachdem er nun hier war, wollte er nicht aussteigen. Er

Weitere Kostenlose Bücher