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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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ein kaltes Stechen in der Brust. Seine Großmutter wandte den Kopf von ihm ab.
    »Wenn ich dich sehe, wünsche ich mir, du wärst tot.«
    »Wirklich?«, sagte er.
    »Ich muss meine Freunde meiden. Ich kann nicht zur Kirche gehen. Jeder starrt mich an. Sie wissen, was du getan hast. Am liebsten würde ich sterben. Und dann tauchst du hier auf und gehst mit mir spazieren. Es ist schrecklich, wenn du mit mir spazieren gehst und die Leute uns zusammen sehen. Du glaubst ja gar nicht, wie schwer es ist, so zu tun, als würde ich dich nicht hassen. Ich dachte schon immer, dass mit dir was nicht stimmt. Wie du als Kind gekeucht hast, wenn du durch die Gegend gerannt bist. Du hast immer durch den Mund geatmet, wie ein Hund, besonders wenn hübsche Mädchen in der Nähe waren. Und du warst so schwer von Begriff. Ganz im Unterschied zu deinem Bruder. Ich habe versucht, das Lydia klarzumachen. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich zu ihr gesagt habe, dass mit dir was nicht stimmt. Aber sie wollte es nicht hören. Und jetzt schau, was passiert ist. Nun haben wir alle darunter zu leiden.«
    Sie legt eine Hand über die Augen, und ihr Kinn zitterte. Während Ig über den Hof vor ihr zurückwich, hörte er, wie sie anfing zu weinen.
    Er überquerte die Veranda und trat durch die offene Tür in die stockdunkle Diele. Er wollte in sein altes Zimmer hinaufgehen und sich hinlegen. Bestimmt würde es ihm guttun, ein wenig für sich zu sein, umgeben von seinen alten Postern und Kinderbüchern. Aber dann, als er am Arbeitszimmer seiner Mutter vorbeikam, hörte er Papier rascheln und drehte sich automatisch um.
    Seine Mutter hatte sich über ihren Schreibtisch gebeugt und blätterte einen Papierstapel durch, wobei sie hin und
wieder ein Blatt herauszog und in ihre Lederaktentasche gleiten ließ. Wie sie so dastand, spannte sich ihr Nadelstreifenrock über dem Hintern. Sein Vater hatte sie kennengelernt, als sie in Vegas tanzte, und sie hatte noch immer die Figur eines Revuegirls. Ig ging durch den Kopf, was er gesehen hatte, als er Veras Hand berührte - dass seine Großmutter insgeheim glaubte, Lydia sei eine Nutte gewesen und Schlimmeres -, und tat es als seniles Hirngespinst ab. Seine Mutter saß im Kulturausschuss des Staates New Hampshire und las russische Romane, und selbst als sie ein Revuegirl gewesen war, hatte sie immerhin Pfauenfedern getragen.
    Als Lydia bemerkte, dass Ig in der Tür stand und sie beobachtete, entglitt ihr die Aktentasche. Als sie hastig danach griff, fielen einige Blätter heraus und verteilten sich überall auf dem Boden. Ein paar davon schwebten wie Schneeflocken ziellos hin und her, und Ig musste wieder an die Drachenflieger denken. Ab und an sprang auch jemand vom Queen’s Face in den Tod. Bei Selbstmördern war die Klippe sehr beliebt. Vielleicht würde er als Nächstes dort hinauffahren.
    »Iggy«, sagte seine Mutter. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du vorbeikommst.«
    »Ich weiß. Ich bin die ganze Zeit in der Gegend herumgefahren. Ich wusste nicht, wohin ich sonst soll. Heute ist ein grauenvoller Tag.«
    »Ach, Liebling«, sagte sie und runzelte mitfühlend die Stirn. Er sehnte sich schon so lange nach ein wenig Mitgefühl, dass ihm ganz schwach wurde und er ihren Blick kaum ertragen konnte.
    »Mit mir passiert etwas Furchtbares, Mama«, sagte er mit heiserer Stimme. Er stand kurz davor, in Tränen auszubrechen.

    »Ach, Liebling«, sagte sie noch einmal. »Warum konntest du nicht woandershin gehen? Ich will mir nicht schon wieder deine Probleme anhören.«
    Das Brennen hinter seinen Augäpfeln ließ nach, und das Bedürfnis, loszuheulen, verschwand so schnell, wie es gekommen war. In den Hörnern pochte es, als wären sie wund - kein gänzlich unangenehmes Gefühl.
    »Aber ich stecke in Schwierigkeiten.«
    »Das interessiert mich nicht. Ich will es einfach nicht wissen.« Sie ging in die Hocke, sammelte ihre Papiere ein und steckte sie in die Aktentasche.
    »Mutter«, sagte er.
    »Wenn du redest, möchte ich am liebsten singen!«, schrie sie, ließ die Aktentasche fallen und hielt sich mit den Händen die Ohren zu. »Lalala-la-la-la! Ich will nicht hören, was du zu sagen hast. Am liebsten würde ich den Atem anhalten, bis du weggegangen bist.«
    Sie holte tief Luft und hielt mit aufgeblähten Wangen den Atem an.
    Er durchquerte das Zimmer und kniete vor ihr nieder, so dass ihr nichts anderes übrigblieb, als ihn anzuschauen. Sie hockte da, die Hände an den Ohren und die Lippen aufeinandergepresst. Er

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