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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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neben ihr ins Bett gefallen zu sein, und wusste nicht einmal mehr, wie er nach Hause gekommen war - ein weiteres Puzzleteil, das ihm vom gestrigen Abend fehlte. Bis eben war er sich noch sicher gewesen, dass er allein geschlafen und Glenna die Nacht anderswo verbracht hatte. Mit jemand anderem.

    Gestern Abend waren sie zusammen losgezogen, aber nachdem er zu trinken angefangen hatte, waren Igs Gedanken wie von selbst zu Merrin abgeschweift - kein Wunder, ihr Tod lag jetzt fast genau ein Jahr zurück. Und je mehr er trank, umso mehr vermisste er sie und umso mehr wurde ihm klar, dass Glenna ihr in keiner Weise glich. Mit ihren Tattoos, ihren aufgeklebten Fingernägeln und dem Regal voller Dean-Koontz-Romanen, ihren Zigaretten und ihrem Vorstrafenregister war Glenna das genaue Gegenteil von Merrin. Es verdross Ig zutiefst, dass sie es war, die ihm gegenübersaß, und es kam ihm vor wie Verrat, auch wenn er nicht wusste, ob er damit Merrin oder sich selbst betrog. Irgendwann wollte er nur noch weg. Glenna langte andauernd über den Tisch und strich ihm mit einem Finger über den Handrücken - eine zärtlich gemeinte Geste, die ihm aber aus irgendeinem Grund auf den Sack ging. Er flüchtete aufs Männerklo und versteckte sich dort für zwanzig Minuten. Als er zurückkam, war die Sitzecke leer. Er blieb noch eine Stunde lang da und trank weiter, bis er endlich begriff, dass sie nicht wiederkommen würde und ihm das auch nicht im Geringsten leidtat. Aber irgendwann mussten sie beide hier in diesem Bett gelandet sein, dem Bett, das sie während der letzten drei Monate miteinander geteilt hatten.
    Im Nebenzimmer hörte er den Fernseher laufen. Also war Glenna noch immer in der Wohnung und noch nicht in den Salon gegangen. Er würde sie bitten, ihn zum Arzt zu fahren. Das Gefühl der Erleichterung darüber, dass er sterben würde, war abgeklungen, und ihm graute es bereits vor den Tagen und Wochen, die ihm bevorstanden: sein Vater, der sich bemühen würde, nicht zu weinen; seine Mutter mit ihrer aufgesetzten guten Laune; die Tropfinfusionen, die
Arztbesuche und Bestrahlungen, das endlose Erbrechen und das Krankenhausessen.
    Ig ging leise nach nebenan, wo Glenna in einem Guns N’ Roses -Tanktop und ausgeblichenen Schlafanzughosen auf der Wohnzimmercouch saß. Sie hockte vornübergebeugt da, die Ellbogen auf dem Kaffeetisch, und stopfte sich mit den Fingern den Rest eines Donuts in den Mund. Vor ihr standen eine Schachtel mit drei Tage alten Supermarktdonuts und eine Zweiliterflasche Cola light. In Fernsehen lief eine Talkshow.
    Sie hörte ihn und sah mit halb geschlossenen Augen vorwurfsvoll zu ihm hoch. Dann wandte sie sich wieder der Glotze zu. Das Thema der heutigen Sendung lautete: »Mein bester Freund ist ein Soziopath!« Fette Proleten machten sich gerade bereit, einander mit Stühlen zu bewerfen.
    Die Hörner waren ihr nicht aufgefallen.
    »Ich glaube, ich bin krank«, sagte er.
    »Hör auf zu jammern«, sagte sie. »Ich hab auch’n Kater.«
    »Nein. Ich meine … schau mich doch an. Seh ich aus, als wär ich gesund?« Er wollte auf Nummer sicher gehen.
    Wie in Zeitlupe drehte sie sich wieder zu ihm um und starrte ihn unter den Augenlidern hervor an. Sie hatte sich seit gestern nicht abgeschminkt, und die Wimperntusche war etwas verlaufen. Glenna hatte ein glattes, angenehm rundliches Gesicht und eine geschmeidige, kurvenreiche Figur. Vielleicht hätte sie es zum Übergrößen-Model bringen können, wenn sie es darauf angelegt hätte. Sie wog fünfzig Pfund mehr als Ig, was allerdings nicht daran lag, dass sie fett, sondern daran, dass er spindeldürr war. Beim Vögeln lag sie am liebsten oben, und wenn sie ihm die Ellbogen auf die Brust stemmte, bekam er kaum noch Luft, eine Art erotische Asphyxiation wider Willen. Ig, der so oft
um Atem ringen musste, kannte ausnahmslos alle Prominenten, die bei Atemkontrollspielen gestorben waren. Für Musiker war es ein überraschend häufiges Ende. Kevin Gilbert. Hideto Matsumoto - wahrscheinlich. Und natürlich Michael Hutchence, an den er in diesem Moment ganz bestimmt nicht denken wollte. The Devil Inside .
    »Bist du immer noch betrunken?«
    Als er nicht antwortete, schüttelte sie nur den Kopf und wandte sich wieder dem Fernseher zu.
    Da war’s dann wohl. Hätte sie die Hörner gesehen, wäre sie schreiend aufgesprungen. Aber sie konnte sie nicht sehen, weil sie nicht da waren. Es gab sie nur in Igs Einbildung. Wenn er sich jetzt im Spiegel sehen könnte, wären sie

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