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Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)

Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)

Titel: Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Bigler
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auswich und sich ihre Wangen leicht gerötet hatten.
    «Ah», sagte er, «fast hätte ich es vergessen: dort, unter dem Fenster hab’ ich etwas mitgebracht, aus der Vorratskammer.»
    Er deutete mit der Hand auf den Leinensack, den er den ganzen Weg hierher geschultert hatte.
    «Pater Clemens…»
    Sie trat zum Sack hin, löste die Schnüre und hob ihn auf den aus dicken Brettern und krummen Pfosten behelfsmäßig gezimmerten Tisch neben dem Eingang.
    Sie tat dies so gehetzt, dass er den Eindruck kriegte, es gebe jetzt nichts Dringenderes als diesen Leinensack und die Leckereien, die darin verborgen waren.
    «Pater Clemens, was würde aus uns, wenn wir Euch nicht hätten?»
    Sie sah ihn noch immer nicht an, ihre Stimme aber klang weich, und er genoss es, ihr zuzuschauen, wie sie, wieder ein bisschen ruhiger, einen Topf, einen Käse, zwei Flaschen und zwei Laibe Brot aus dem Sack zog.
    «Den Honig muss ich wohl genauso gut verstecken wie den Schwefel und den Salpeter, sonst hat ihn Arno morgen schon leergeputzt. Nun, wisst Ihr was – wir verwöhnen uns ein wenig! Nur wir zwei!»
    Sie legte die Leckereien wieder in den Sack, verschwand in der Hütte und kehrte mit zwei kleinen Holzbechern und einer Flasche Wein zurück, die ihm mit ihrer bauchigen Form auf den ersten Blick verriet, dass sie keinen Alltagswein ausgesucht hatte.
    Er spürte, dass sein Mund trocken wurde und sein Herz leicht schneller schlug.
    Es war ein Tokayer, alt und gut gelagert, vor Wochen hatte er ihn hierhergebracht, für einen besonderen Anlass, für einen Durchbruch in der Forschung oder besonderen Feiertag.
    «Hier», sie reichte ihm die Flasche, «das gönnen wir uns jetzt!»
    «Gott wird uns diese Sünde vergeben. Amen.»
    Er zog den Korken und schenkte ein.
    «Also dann, wohl bekomm’s!»
    Sie prosteten einander zu und setzten sich an den Tisch.
    «Und?», fragte sie.
    «Ja, nicht schlecht.»
    Er log. Denn er konnte nicht feststellen, ob er Wasser oder Wein trank. Seine Zunge war merkwürdig taub, der Rebensaft schmeckte fade, und er hatte das Gefühl, gepanschtes Dutzendgesöff zu schlucken.
    Er beschloss, sich daran nicht zu stören und den Augenblick zu genießen.
    Wann schon in seinem Leben hatte er solche Gesellschaft?
    Was jetzt zählte, war nicht der Wein, sondern Lena, ihre Nähe, der Duft ihres Haares.
    «Pater Clemens», sagte sie, nachdem sie den Becher geleert hatte, «ich habe ein schlechtes Gewissen, es plagt mich. Ich mache mir schwere Vorwürfe. Ich denke, es war nicht richtig, meinen Vater zu verlassen, bei Nacht und Nebel, ohne ein Abschiedswort. Er ist so alt wie Ihr. Außer mir hatte er niemanden. Vielleicht irrt er über Landstraßen, mit zerschlissenen Kleidern, womöglich verletzt und hungrig. Oder er hat gar diesen Winter nicht überlebt.»
    «Nananana», wandte der Abt ein und spürte im selben Atemzug, wie sich ihm die Brust zusammenschnürte.
    Schuld daran war der Tonfall.
    Er behagte ihm nicht, es war derselbe Tonfall, den Sünder wählten, wenn sie zu ihm als Beichtvater sprachen.
    Doch was hatte er sich denn vorgestellt?
    Er trank seinen Wein, schenkte die Becher nochmals voll und nahm sich vor, kein Dummkopf zu sein und sich unselige Wünsche ein für allemal aus dem Schädel zu schlagen.
    «So schlimm ist es bestimmt nicht! Euer Herr Papa ist weit herumgekommen, ist ein erfahrener alter Fuchs und weiß sich zu helfen.»
    «Erfahrung und Weisheit», entgegnete Lena leise, «was nützen sie einem Menschen, wenn das Gedächtnis nicht mehr will. Einmal das Aderlassbesteck, dann ein Messer und ein andermal eine Schere, dauernd ließ er sein Chirurgenbesteck liegen. Auch seinen Lohn zu fordern vergaß er. Ich war es, die jeweils bei den säumigen Patienten anklopfte und die hohle Hand machte.»
    Ihre Augen waren wässrig geworden, und mit einem Taschentuch betupfte sie ihre Nase. Dem Abt gefiel das nicht, und er überlegte angestrengt, wie er das Gespräch aus der Sackgasse lenken konnte, in die es geraten war.
    Wie hätte es ihn wohl getroffen, wenn ein Patient seine einzige, geliebte Tochter gestohlen hätte?
    Der Raub der Helena kam ihm in den Sinn, Menelaos, der erschütterte Gatte, ebenso die Gebote der Bibel und ein Traktat, eine scholastische Renommierübung zu diesem Thema.
    Es waren dies Bruchstücke aus seinem Bildungsrucksack, die mit der Frage irgendwie verquickt waren, ihm aber auf die Schnelle keine Antwort an die Hand gaben, so dass er entschied, seinem Gefühl zu vertrauen, das ihm sagte, dass ein

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