Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)
zum Diebstahl. Vielleicht war am Ende sein Keimling der Menschlichkeit der Grund, dass Ferdinand ein schlechter Staatsmann war, bar jeglichen Instinkts für Regierungsgeschäfte, und dass er so unvorsichtig und unvernünftig handelte wie Paris, als er Helena raubte.
Oder war es schlicht Vorsehung?
Gott hatte am Ende auch dieses schwere Wundfieber zugelassen, von dem ihn nur noch Lenas Vater oder vielmehr Lenas Anblick hatten retten können.
«Was denkt Ihr, Pater Clemens?»
«Ich habe nachgedacht über Schuld», wich er aus, «die wir Menschen absichtlich oder unabsichtlich auf uns laden.»
Noch bevor er fertig geredet hatte, ärgerte er sich über die Antwort.
Was war er doch für ein ungeschliffener Klotz!
Dass sie keine Schuld treffe, hatte er ihr sagen wollen, dass keine Tochter Besitztum des Vaters sei und dass sie sich kein Gewissen machen müsse. Solcher Trost und keine Doppeldeutigkeit hätte ihm über die Lippen rutschen sollen.
Er nahm all seinen Mut zusammen, griff nach ihrer Hand und blickte ihr fest in die Augen.
«Ihr dürft nicht so hart sein mit Euch, Ihr dürft Euch nicht mehr mit Vorwürfen quälen. Wohl hält eine Tochter zu ihrem Vater, doch das hat Grenzen, vor allem, wenn der Vater den Ast absägt, auf dem er sitzt, sei es aus Unbeherrschtheit oder Unvernunft. Hätte sich Euer Vater besser im Griff gehabt, wäre ihm das Bürgerrecht nicht abgesprochen worden. Er war alt genug, die Folgen seines Zorns abzuschätzen. Und vermutlich ist Eure Angst übertrieben, Euer Vater ist längst untergekommen, bei einem Adligen oder sonst einem wohlhabenden Herrn. Doktoren vom Schlage Eures Vaters sind selten.»
Er sah auf ihre Hand und wunderte sich, warum sie diese nicht zurückzog.
Es war dreist, sie zu berühren, wenn nicht gar unverschämt, und Lena konnte er nichts vorgaukeln, sie durchschaute ihn, er benahm sich himmelschreiend daneben.
Wie lange würde sie sich das gefallen lassen?
Ihre Reaktion blieb nicht aus – und sie war ebenso entschlossen wie überrumpelnd, denn plötzlich schmiegten sich ihre Finger zwischen die seinen und begannen sie zu drücken.
Das war reichlich viel für ein altes Herz. Es fing an zu hüpfen, als wäre ihm sein angestammter Platz zu eng und wollte es ihm aus der Kutte springen.
Da hörte er Rascheln im Gras, eilige Schritte und leichtes Keuchen.
«Pater Clemens!»
Es reichte ihm gerade noch, die Muskeln zu versteifen, um nicht vom Gewicht eines halbvollen Mehlsacks von der Bank geworfen zu werden.
«Pater Clemens, Pater Clemens, spielt Ihr Verstecken?»
«Sei nicht so grob», wies Lena den Knaben zurecht, «Pater Clemens ist kein Kriegsmann wie Ferdinand. Und um Himmels willen, wo hast du dich herumgetrieben? Hast du dich in einem Schlammloch gewälzt?»
Arno wölbte trotzig die Lippen, schüttelte den Kopf und drängte sich schutzsuchend an die Schulter des Abts.
«Fuchshöhle?», bohrte Lena. «Komm, erzähl uns von dieser Fuchshöhle, was ist da so spannend?»
Der Abt verteidigte ihn nicht, wie er das vielleicht sonst getan hätte, er schwieg und beobachtete mit strenger Miene den Trotzkopf.
«Wie du aussiehst!», sagte Lena barsch. «Geh zum Brunnen und wasch dich. Pater Clemens und ich haben drinnen zu tun.»
Auf einmal blitzte ein freches Grinsen in Arnos Gesicht auf, und bevor Lena begriff, wie ihr geschah, hatte er sich an ihrem Rock gerieben und sich aus dem Staub gemacht.
«Dieser ungezogene, unverschämte Strolch!»
«Es ist wohl an der Zeit», murmelte der Abt, «ihn im Kloster unterzubringen.»
Einen Augenblick sah ihn Lena prüfend an, dann sagte sie leicht gereizt:
«Der Bub eine Woche bei Euch und kein Stein stünde mehr auf dem anderen. Nichts würdet Ihr mehr finden, Messgeräte und Bibeln und was Ihr sonst noch braucht zum Beten, am Ende würde er Euch noch die Glocken abhängen, nein, der Kerl bleibt besser bei uns, dem Bet-und Bibelbetrieb zuliebe!»
«Es war nur ein Vorschlag», brummte er.
«Genug geredet für heute!»
Sie sagte es leicht schnippisch, wie ihm schien, und strich ihren Rock zurecht.
«Wir haben zu tun drinnen, wir heizen den Athanor ein. Schließlich soll uns Ferdinand beim Arbeiten vorfinden, und nicht beim Müßiggang. Gottgefällig und geschäftig, das wollen wir sein und bleiben, nicht wahr, Pater Clemens?»
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Der Abt atmete schwer, er keuchte. Sie waren hinter ihm her. Wer sie waren, wusste er nicht, er hörte nur ihr schweres Schuhwerk, sie hetzten ihn wie ein Wild. Schlimmes ahnend,
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