Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)
von Taglöhnern, Taglöhner nicht von den Gesellen und die Gesellen nicht von den Studenten.
Er fingerte am Vorhang, konnte sich aber nicht dazu entschließen, ihn vors Fenster zu schieben und sich den Blicken zu entziehen.
Zögerlich grüßte er drei Fußgänger, die ihre Hüte schwenkten, und ließ einen leisen Pfiff fahren.
Woher sein Drang, sich ins Schneckenhäuschen zu verkriechen?
Sie waren neugierig, kindlich, aufdringlich und damit auch lästig – aber einige schienen ihn zu respektieren und sich gar über seine Erscheinung zu freuen!
Solche Menschen gäbe es auch auf dem Marktplatz, er hatte Amt und Ansehen, allein schon seine Kleidung und seine Kutsche würden Respekt erheischen. Und darum war vielleicht gar nicht so aussichtslos, was er vorhatte, vielleicht geschah das Wunder von Kummerlingen tatsächlich!
Es war früher Abend, als die Kutsche vor den Stadtmauern hielt. Die Wachen sprangen dienstfertig von ihren Posten und räumten den Weg für die Karosse.
Erklärungen, die ihn zu Notlügen gezwungen hätten, blieben ihm erspart. Auch brauchte er dem Kutscher keine Anweisungen zu geben, denn die hatte er ihm im Kloster mit aller Deutlichkeit eingeschärft.
Langsam ruckelte der Wagen durch das Tor in die Stadt hinein und holperte an stinkenden Abfallhaufen, geschäftigen Menschen und allerlei Kleingetier vorbei durch die verwinkelten und schummerigen Gassen.
Ein wenig wunderte er sich über sich selbst, über seine Ruhe, er hatte kein Herzklopfen, keinen Angstschweiß, keinen trockenen Mund, er hatte überhaupt keine Beschwerden. Das war eigenartig, denn was auf ihn wartete, war gefährlich und mindestens so heikel wie der Diebstahl von Bienenstöcken, ein Unterfangen, das ihn Kopf und Kragen kosten könnte.
Er nahm wieder die Papierrolle zur Hand, öffnete sie und begann, auf die Buchstaben zu starren, ohne einen Satz zu lesen. Denn auf einmal misstraute er der Rede, er fürchtete, unzählige Hinweise darauf zu finden, dass nicht zünden würde, was er in der Eile zu Papier gebracht hatte. Und ein Haufen Schwachstellen war das Letzte, worauf er stoßen wollte – was er jetzt brauchte, war blindes Vertrauen in den Text, er war nicht der Blender, der Reden mit Leichtigkeit und Verve vortrug, er musste sich auf seine Gedankenstützen verlassen können, wenn er zum Publikum sprach.
«Marktplatz, wir sind da!»
Der Kutscher rief es mit seiner rauen Stimme und stoppte den Wagen.
Vorsichtig rollte der Abt den Bogen auf und umfasste den Türgriff. Mit einem Schlag war ihm anders, und er merkte, wie er zu schwitzen anfing. Draußen wäre er schutzlos. Es gäbe keine Zuflucht vor den Häschern, wie Bluthunde würden sie sich auf ihn stürzen, und die Kutsche würde ihnen den Weg weisen, geradezu schreierisch würden sie ihn verraten.
Er wünschte sich, die Klinke möge klemmen, und ließ die Hand wie gelähmt auf dem kalten Metall ruhen.
Kämpfen oder kuschen?
Einen Augenblick später stand er draußen, knöcheltief im vom Regen aufgeweichten Boden.
«Wartet auf mich!», befahl er dem Kutscher und drückte das Türchen hinter sich zu.
Er verbot sich jeden Gedanken an Umkehr. Als Feigling wollte er seine letzten Tage nicht verbringen, und keinesfalls sollte er sich vorwerfen müssen, er habe zu spät gehandelt und die letzte Gelegenheit verpasst. Auf in den Kampf der Gerechten, nackten Fußes in die Schlangengrube!
Langsam, Schritt für Schritt, watete er im weichen Boden auf die vielen Menschen zu. Es entging ihm dabei nicht, wie er Blicke auf sich zog, Blicke, die er am liebsten wie lästige Fliegen fortgescheucht hätte.
Hatte man hier nichts anderes zu tun, als zu glotzen?
Er hielt den Bogen hoch und fächerte sich Luft zu.
Schamlos war es von den Städtern, so zu gaffen und zu starren. War er denn ein Reliquienschrein oder ein wandelndes Götzenbild?
Tapfer wankte er vorwärts, schlurfte an Menschen vorbei, die vor ihm eine Gasse öffneten und zurückwichen, als führte er eine Osterprozession an.
Halb erfreut, halb beunruhigt über diese Aufmerksamkeit sah er sich nach einer Treppe oder einem Podest um. Was er jetzt benötigte, war ein Platz, wo er erhöht stand und ihm das Reden leicht fiel, ein Platz, auf dem ein gehetzter Rattenfänger zu seinem letzten Lied aufspielen konnte.
Er drehte seinen Kopf, hob die Hand über die Stirn und hielt Ausschau. Immer wieder verloren sich dabei seine Augen in den vielen Hüten und Hauben, und zusehends stärker wurde sein Wunsch, irgendwo in
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