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Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)

Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)

Titel: Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Bigler
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einer Kirche zu sein, wo er sich in einer beschützenden Kanzel hätte verkriechen und einen rechten Überblick verschaffen können. Denn Distanz war es, was ihm hier fehlte, Distanz, sakrale Ruhe oder Gottesfurcht, das alles gab es auf diesem aufgeweichten Schlammplatz inmitten dieser plappernden Hut-und Haubenträger nicht, stattdessen regierten hier die Unordnung, das Durcheinander und die schrille Aufgekratztheit des unbeschwerten Volkes!
    Er war drauf und dran, die Suche aufzugeben, da streifte sein Blick einen schäbigen Aufbau aus Balken und Brettern auf der anderen Seite des Platzes. Zweimal musste er hingucken, um darin die Bühne einer bescheidenen Schauspieltruppe zu erkennen. Die Vorstellung, dort oben eine Rede zu halten, behagte ihm nicht, und er merkte, wie seine Füße schwer und klamm wurden.
    Er stieß ein morsches Holzstück beiseite und klopfte sich mit der Rolle gegen den Schenkel.
    Hatte er eine Wahl?
    Er verbot sich weitere Bedenken, ging durch die Menge auf den schäbigen Aufbau zu und trat an einen Mann mit herunterhängenden Wangen heran, der auf einem Tisch Requisiten ordnete und ein ärmelloses, bunt gefärbtes Wams trug.
    «Ich will mit Euch ein Geschäft schließen!»
    In der Hoffnung, dass ihm ein unerwartet großzügiges Angebot rasch Zutritt zu den Brettern verschaffen würde, legte er zehn Kreuzer auf den Tisch.
    «Die Bühne ist nur für Schauspieler!», entgegnete der Mann mit der strengen Miene eines Tempelwächters.
    Der Abt nickte, fingerte nach einem halben Gulden und drückte ihn auf den Tisch.
    Nun gut, vielleicht könne man eine Ausnahme machen, das jedoch habe seinen Preis.
    Der Abt ließ sich den Stoß gelber Galle nicht anmerken und legte geschwind einen ganzen Gulden dazu.
    Er wecke vielleicht den Zorn seiner Kameraden, wenn er über ihre Köpfe hinweg entscheide, ein solch schwerwiegender Entschluss könne nur von der Gruppe als Ganzes verantwortet werden.
    Dem Abt juckte die Hand.
    Sollte er dem Kerl eine saftige Ohrfeige verabreichen?
    Er widerstand der Versuchung, griff nochmals in den Säckel und hielt ihm fünf Gulden hin.
    Wenn dem so sei, nehme er den Zorn seiner Truppe auf sich und gebe die Bühne frei.
    «Im Fegefeuer sehen wir uns wieder!», knirschte der Abt.
    Er genoss einen Augenblick das verdutzte Gesicht des Feilschers, dann stieg er ohne Rücksicht auf die feurigen Stiche in seinen Gelenken zur Bühne hoch.
    Als er auf die Bretter trat, war er sich nicht mehr sicher, ob es eben ein Schauspieler gewesen war, mit dem er gehandelt hatte, oder aber der Vertreter einer anderen Zunft, zu deren Kernaufgabe es tatsächlich gehörte, Menschen in aller Öffentlichkeit den Hals abzuschneiden.
    Misstrauisch rieb er sich den Nacken und tastete mit seinem Blick die Bühne ab.
    Lag da irgendwo ein Richtschwert herum?
    Oder ein Brecheisen für die Knochen?
    Sich einen tüchtigen Atemzug gönnend, überzeugte er sich, dass nichts dergleichen den Weg verstellte, und ging über die Bretter zum Bühnenrand.
    Er zwang sich, kampflustig dreinzuschauen, sah zu den Menschen und fand den Eindruck bestätigt, dass es auf dem Platz ruhiger geworden war. Man hatte ihn wahrgenommen und schien auf seinen verrückten Auftritt zu warten, manche gar so ungeduldig, dass sie ihr Geschäft vergaßen und zur Bühne drängten wie die Schafe zum Hirten mit dem Salzsack.
    Mit zappeligen Fingern rollte er den Bogen auf und blickte auf die Zeilen.
    Jämmerlich verloren kam er sich dabei vor, und wie ein kleiner Knabe die kräftige Hand des Vaters vermisste er ein Pult, an dem er sich festklammern oder worauf er den Papierbogen legen konnte.
    «Seht, der Hanswurst ist besoffen, er hat sich als Abt verkleidet!»
    Die Bemerkung irgendeines Vorwitzigen gellte durch die Stimmengischt und ein Dicker rief: «Das ist nicht der Hanswurst, du Trottel, der ist echt, der ist mit der Kutsche dort drüben gekommen!»
    «Recht hast du, Dicker!», murmelte der Abt, «und liegst trotzdem falsch!»
    Sein altes Herz raste, und er fürchtete, den Verstand zu verlieren. Er, ein Priester und Abt, hier, an diesem Ort profanster Lustbarkeit. Unmöglich war er bei Trost, er, ein Würdenträger auf der Bühne einer Schauspieltruppe!
    Was für ein Sakrileg, was für eine Gotteslästerung!
    Die Hand zittrig wie schon lange nicht mehr, starrte er auf den Bogen und biss die Zähne zusammen. Er würde nicht aufgeben!
    Er war nicht hierhergefahren, um im entscheidenden Augenblick zu kapitulieren. Er stand hier wegen Ferdinand,

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