Teuflisch erwacht
nach ihr aus, aber zog sie zurück, bevor er sie berührte. »Es tut mir leid«, sagte er leise.
Ihr tat es auch leid. Alles. Adler flogen allein, bloß Schafe liefen in Herden. Sie war ein dämliches Schaf, aber Sebastian würde immer ein Adler bleiben. Er würde ihr niemals so ganz gehören, denn über hundert Jahre lang hatte er sich allein durchs Leben geschlagen und gelernt, damit klarzukommen. Sie war stets ein Familienmensch gewesen, brauchte Nähe und Wärme. Doch er verstand etwas anderes darunter und hielt sie emotional auf Abstand. Die Kälte, die er mit seinen Worten an den Tag gelegt hatte, bewies es mal wieder. Anna vermied es, ihn anzusehen. Sie wollte nicht wieder schwach werden, wenn er sie mit seinen flehenden Augen bezirzte. Für den Moment wollte sie um Kevin trauern, sich Sorgen um Marla machen und ihn für seine Natur hassen. Bloß für den Augenblick wollte sie sich wie ein Menschenmädchen verhalten.
Zögerlich strich er mit einem Finger über ihre Wange und wischte eine Träne fort. »Entschuldige, bitte.«
»Es tut dir leid?«, krächzte sie. »Unsere Leute sterben wie Fliegen, du benimmst dich, als stündest du deinem Bruder in Sachen Arschloch in nichts nach, und dann sollen ein paar nette Worte es wieder richten? So läuft das nicht. Ich weiß gar nicht, ob ich dich wirklich kenne. Wer ist der Typ, für den ich alles geopfert habe?«
Er zuckte zusammen. »Du kennst mich besser als sonst jemand auf der Welt.«
Sie hatte einen brennenden Pfeil abgefeuert. Seine Stimme klang, als ob sein Herz in Flammen stünde. Aber das war gut, denn er hatte ihr auch wehgetan. »Ich bin mir da nicht so sicher.« Sie blickte auf und versank in dem Eismeer, das durch seine Iris schwappte. Seine Augen glänzten. Er sagte tausend Worte, ohne zu sprechen.
Sebastian nahm ihre Hand und stand auf. Er zog sie an sich heran. Sein rasendes Herz klopfte in ihren Fingerspitzen. »Dann lern mich kennen«, flüsterte er. Er umfasste ihren Kopf mit beiden Händen und näherte sich ihrem Gesicht.
Anna schloss die Augen. Sein heißer Atem ließ sie erschaudern, bevor er seine Lippen endlich auf ihre drückte. Sie hatten schon öfter geknutscht, aber diesmal war es anders. Er war forscher, ging drängelnder vor und seine Zungenspitze spielte stürmisch mit ihrer. Prickelnde Wellen schlugen durch ihr Blut. Sie würde sich nie wieder von ihm losreißen können. Salzige Tränen liefen in ihren Mund, aber es waren nicht nur ihre. Anna unterdrückte ein Stöhnen.
Er ließ sie los, taumelte einen Schritt zurück und zog seinen Pullover über den Kopf. Er entblößte seine makellosen Lenden, auf denen die Jeans bloß dank eines Gürtels hielt.
Anna wich einen Schritt zurück und setzte sich auf das Bett. Unter seiner feurigen Schönheit starb die Trauer und ihre Knie wurden weicher denn je.
»Hast du Angst?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf, obwohl sie am liebsten Ja geschrien hätte. Aber sie wollte ihn. Wenn ihr seine Seele schon nie wirklich gehören würde, dann wenigstens seine perfekt geschneiderte Hülle. Bloß einen winzigen Augenblick lang sollte er ihr so nahe sein wie vielleicht nie wieder jemand in ihrem Leben.
Er fragte kein zweites Mal, sondern kam näher, stieß sie zurück und beugte sich über sie.
Annas Verstand setzte aus, als er ihr Sweatshirt hochschob, seine starken Hände ihre Hüften umfassten und ihren Hals küsste. Ihre Haut brannte und ihr Herz stolperte vorwärts. Wenigstens für diese Nacht wollte sie seine Königin sein, auch wenn sie ihn am liebsten geohrfeigt hätte.
33. Kapitel
Besuch aus dem Jenseits
S ie lehnte an seiner Brust und lauschte seinem Herzschlag. Sebastian atmete leise in ihr Haar, sein Kopf war zur Seite gesunken. Anna schaffte es nicht, die Augen zu schließen. Ihre Welt drehte sich. Himmel, hatte sie das wirklich getan? Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte sie wohl kaum wählen können, um ihren Hormonen freien Lauf zu lassen. Ihr Gewissen knurrte inbrünstig, bereit zur Beißattacke. Marla saß in London fest und Luca hatte, auf Joshs Kommando, Kevin getötet. Der Mord an Waltraud hatte sie ganz schön verändert. Ihr Herz war nicht länger bereit dazu, zu brechen und sich eigenständig wieder zusammenzupuzzeln. Irgendwo in den Tiefen des Muskels, zwischen zwei Herzklappenschlägen, war ein Küken geschlüpft. Es trug den Namen Egoist. Noch schafften die zarten Flügel des kleinen Wesens es nicht, jegliches Zartgefühl aus der Seele zu fegen, aber
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