Teuflisch erwacht
Krankenhäusern, aber nach dem Gestank bei Salim hieß sie ihn willkommen. Ihre Schritte hallten in der leeren Eingangshalle.
»Wir müssen in die dritte Etage«, flüsterte Marla, während sie vor dem Aufzug warteten.
Immerhin schienen sie sich stillschweigend einig zu sein, nicht die Treppe zu nutzen. Mit den weichen Knien würde Anna vermutlich nach einem Sturz in der Ambulanz landen. Woher Marla allerdings wusste, in welche Etage sie mussten, blieb ein Rätsel. Sie konnte höchstens eine Sekunde auf die Anzeigetafel gespäht haben.
Der Fahrstuhl hielt und sie schlüpften hinein. Marla wählte die Etage. Annas Herz begann laut zu hämmern und das Geräusch übertönte jeden Gedankengang. Der schnelle Pulsschlag klopfte heftig gegen die Schläfen. Sie schluckte ein paar Mal, aber die Übelkeit breitete sich aus. Eigentlich litt sie nicht an Klaustrophobie, aber an solchen Tagen zählten die ganzen Eigentlichs und Normalerweise wohl keinen Penny. Ob sich alle Mörder so fühlten? Graute es ihnen davor, zu töten? Sebastian graute es nicht, aber er war auch kein Mensch.
Die Aufzugtüren glitten geräuschvoll auseinander. Eine Frau in weißem Kittel stieg ein, während sie auf den Flur traten. Die Beschriftung auf der Tür bestätigte Annas Vermutung. Sie befanden sich auf der geriatrischen Station. Die Intensivstation wäre zu auffällig gewesen.
»Wir klappern die Zimmer ab«, erklärte Marla. »Willst du es immer noch in den Schatten versuchen? Könnte ein aufwendiger Akt werden, wenn wir nicht auf Anhieb finden, wonach wir suchen.«
Anna rieb sich den Hals und wedelte die Hitzewelle fort. Ein aufwendiger Akt? Marla musste den Verstand verloren haben. Was sie vorhatten, war mehr als ein aufwendiger Akt. Sie raubten einem Menschen das Leben, ganz gleich, wie lang es noch andauern würde. »Natürlich werde ich es in den Schatten versuchen«, krächzte sie heiser. Ihre Stimme gehorchte nicht mehr.
Marla hielt ihr die Tür auf. Ein langer Gang lag vor ihnen. Links und rechts reihten sich die Patientenzimmer und sie steuerten das erste an. Marla klopfte. Eine leise, verschlafene Stimme bat sie hinein. Sie schüttelte den Kopf und Anna ging weiter. Immerhin schien das Personal beschäftigt zu sein. Der Flur lag verlassen vor ihnen. Aus dem vierten Zimmer erhielten sie keine Antwort.
»Sehen wir nach.«
Anna verkrampfte, als Marla die Klinke hinunterdrückte. Blei sank in die Beine und verhinderte jeden weiteren Schritt.
»Jetzt komm schon, bevor dich noch jemand sieht.«
Sie presste die Lider zusammen, betrat blind das Krankenzimmer und wartete, bis Marla die Tür geschlossen hatte. Sie atmete tief durch und zwang sich, die Augen zu öffnen. Eine Frau lag im einzigen Bett am Fenster. Oder war es ein Mann? Aus der Entfernung bestand das Gesicht nur aus Knochen. Marla griff in ihre Manteltasche, beförderte ein zugeschnürtes Säckchen heraus und hängte es an die Türklinke.
»Was ist das?«
»Was glaubst du denn?«, antwortete sie gereizt. »Ein Schutzzauber. Er verhindert, dass wir gestört werden.« Sie ging auf das Bett zu.
Anna folgte ihr wie ferngesteuert. Sie atmete schnell und flach. Die Angst übernahm das Kommando, stach die anderen Gefühle aus.
Der Eindruck bestätigte sich. Die Frau war mager. Unter der faltigen Haut zeichnete sich jeder Knochen ab. Sie bewegte sich nicht, sah sie nicht einmal an. Das dünne, spärliche Haar hätte genauso gut zu einem Mann gehören können, aber die Gesichtszüge muteten weiblich an.
»Das ist Waltraud Schneider. Sie ist neunundachtzig Jahre alt«, erklärte Marla nüchtern, wie ein Arzt bei der Visite.
Super, nun besaß ihr Opfer einen Namen. Wenn sie das wirklich durchziehen würden, hätten sie keinen Menschen erlöst, sondern Waltraud ermordet. Anna schluckte gegen den Kloß im Hals an, aber er saß zu fest. Sie versuchte, ein paar Tränen aus den Augen zu quetschen, aber nicht mal dazu war sie imstande.
»Woher kennst du ihren Namen?«, fragte sie, um nicht länger nachdenken zu müssen. Sie schaffte es nicht, den Blick von der Frau zu wenden.
Marla wedelte mit etwas in ihrer Hand. Sie musste die Patientenkarte vom Fußteil gezogen haben. »Sie besitzt eine Patientenverfügung und wünscht keine lebenserhaltenden Maßnahmen. Vor vier Tagen hat sie das Essen eingestellt. Die alte Dame hat Krebs und ist zudem dement.«
Damit machte sie das Schicksal zu ihrem perfekten Opfer. Eine demente, schwerkranke Frau, der nichts daran lag, am Leben gehalten zu
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