Teuflisch erwacht
Gesicht. Sie war siebzehn, wie stark konnte sie auf Dauer bleiben?
»Nicht jetzt. Ich hab dir gesagt, du sollst im Auto warten. Du wirst jetzt nicht die Nerven verlieren.« Marla schnaubte.
Anna kannte diesen Ton, er duldete keinen Widerspruch. Sie zitterte so heftig, dass es sie fast von den Beinen riss, aber sie schaffte es, die Tränen versiegen zu lassen. Sie klammerte sich ans Bettgestell.
»Verdammt noch mal, Anna. Ich zerbreche mir den Kopf, wie wir dich heil aus der Sache herausbekommen und du zerbrichst an dem Tod einer Fremden. Du hast diesen Pakt geschlossen, also reiß dich zusammen. Ich werde nicht dein Leben beenden, indem ich jetzt alles über Bord werfe. Der Engel ist unsere einzige Chance, dich zu beschützen. Wir werden diese Sache jetzt durchziehen.«
Vielleicht hatte Marla recht. Möglicherweise würde der Engel ihr Leben beschützen, wenn sie ihn erst zum Leben erweckte. So weit hatte sie nicht gedacht, denn ihr Tod war nicht so schlimm wie Waltrauds. Anna schloss die Augen und versuchte, Ordnung in das Chaos in ihrem Schädel zu bringen. Sie war kein Egoist.
Marla packte sie an den Schultern und schüttelte sie. Die Panikwelle nahm neuen Anlauf, aber Anna bezwang sie, bevor sie sich zu einem Orkan erheben konnte und nickte. Was für eine Wahl blieb ihnen? Sie kämpfte gegen den Abgrund an, der erneut aufklaffte. Sie hatte das schreckliche Empfinden, längst gestürzt zu sein. Hatte sie den Aufprall versäumt? Eine dunkle Zukunftsvision huschte durch ihren Verstand. Wer wusste, wie viele schwarze Löcher sich noch auftaten? Möglicherweise würde sie bis zu ihrem Lebensende fallen und mit Pech auch noch im Tod. Der hässliche Abgrund verschlang sie mit Haut und Haar. Er schien niemals gesättigt.
13. Kapitel
Spiel des Lebens
E s dämmerte und die aufgehende Sonne zauberte einen orangefarbenen Glanz über das Mittelmeer. Sebastian ging die Straße entlang und konzentrierte sich darauf, nicht ständig zurück zum Wasser zu blicken. Möglicherweise war es ein gutes Omen, dass die Sonne an diesem Tag schien. In wenigen Minuten kam es auf sein Schauspieltalent an. Er musste empört wirken und zugleich wütend. Jahrzehnte lang hatte er gelernt, andere zu täuschen und sie in Illusionen versinken zu lassen. Eigentlich sollte es sich nicht als sonderlich schwierig herausstellen, denn Wut und Empörung begleiteten ihn auf seinem Weg ebenso wie die Angst. Trotzdem stellte Antonio del Rossi eine Gefahr da. Das kleinste Blinzeln zum falschen Zeitpunkt würde er mitunter als Lüge entlarven. Was, wenn er versagte? Ein Kampf gegen die del Rossis konnte ihn das Leben kosten.
Sebastian beschleunigte seine Schritte und rief sich zur Ruhe. Er besaß die Chance, durch eine einzige Leistung und eine winzige Tat mit der Welt ins Reine zu kommen. Vielleicht konnte er sich dann selbst verzeihen. Er hatte Menschen getötet und dabei zugesehen, wie seine Familie noch mehr umgebracht hatte. Endlich konnte er Buße tun. Leise klopften Bilder gegen seine Stirn. Er blickte zurück, zu jedem Mord, an dem er seinem Opfer einen Finger abgetrennt hatte.
Er erschauderte, doch die Kälte streifte sein Herz bloß. Er bereute es nicht. Allein die Erinnerung daran, wie es sich anfühlte, ein Leben zu nehmen, ließ sein Herz schneller schlagen. Es tat ihm verdammt noch mal nicht leid. Schnell verscheuchte er die Gedanken, denn es spielte keine Rolle, was er getan hatte. Er hatte sich im Griff und es ging darum, Anna zu retten. Das Wohl der Menschen lag ihm nicht am Herzen, aber ihr musste es gut gehen. Jeden Moment, den er vergötterte, und jeden Rausch, der seinen Körper durchlaufen hatte, wenn er ein Leben auslöschte, würde er eintauschen gegen einen letzten Blick in ihre lieblichen, dunkelblauen Augen. Himmel, ein Menschenmädchen hatte ihn gebrochen.
Sebastian blickte zu den Villen, die links und rechts der Straße standen. Wie oft war er mit Kira diesen Weg gegangen, als sie frisch zusammengekommen waren und die Zeit am Wasser vertrödelt hatten? Ewigkeiten war es her und doch schien es gestern gewesen zu sein. Kira war nicht immer selbstsüchtig und hinterhältig gewesen. Er erinnerte sich, dass er vor unzähligen Jahren eine andere Seite von ihr kennengelernt hatte. Ob er sie geliebt hatte? Nicht so wie Anna, soviel stand fest. Doch wenn an seiner Behauptung, auf die er alles setzte, etwas dran war und Magier mehr empfanden, als sie sich eingestanden, musste er schon damals etwas gespürt haben. Oder
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