Teuflisch erwacht
werden. Sie hatten ihren Tod nicht bestimmt, sondern beschleunigten die Sache bloß, um ihr Qualen zu ersparen.
»Das ist doch totaler Quatsch. Ich kann das nicht.« Sie rechtfertigte sich für Gedanken, die sie nicht einmal ausgesprochen hatte. Verlor sie allmählich den Verstand?
»Anna. Du hast den Deal mit der Loa geschlossen. Dass du das besser nicht getan hättest, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Aber es ist geschehen und nun müssen wir da durch. Wenn du sie nicht in den Schatten findest, tun wir es nicht. Aber denk daran, was auf dem Spiel steht.«
Es stand eine Menge auf dem Spiel. Ohne Opfergabe gab es keine Voodoomacht und ohne diese würde der Engel nicht wiederauferstehen. Demzufolge hatte niemand etwas den Magiern entgegenzusetzen und täglich starben eine Menge Menschen. Möglicherweise löschten die Halbwesen die gesamte menschliche Rasse aus. In jedem Fall würde es mehr als dieses eine Opfer geben, wenn sie nicht über den einen letzten Schatten sprang. Ihr Tod, der unweigerlich bevorstand, wäre umsonst. Sie sah Waltraud an. Der Tod dieser Frau konnte den Sieg bedeuten und vor allen Dingen Sebastian retten. Ihren lieblichen Sebastian, der es verdient hatte, glücklich zu werden. Sie schaffte es nicht, eine fremde Frau zu töten? Himmel, er musste seiner eigenen Familie an den Kragen und zierte sich nicht. Dieser Gedanke brannte sich in ihren Kopf und entzündete ein Feuer, das jegliche Zweifel verbrannte. Ihr Engel kämpfte allein dort draußen. Ein Schauder arbeitete sich das Rückgrat hinab und ein vulkanischer Winter vereiste ihren Kern. Anna atmete tief durch, trat vom Bett weg und nickte zögerlich.
»Lass uns den Kreis aufbauen.«
»Ich habe bloß eine Kerze und eine Lavendelblüte dabei.« Marla zog die Utensilien aus ihren endlos tiefen Manteltaschen. Hatte sie einen Zauber angewendet, oder weshalb passte so viel hinein?
»Reicht das denn aus?«
Hoffentlich reichte es nicht. Wenn Marla jetzt verneinte, würde sie ihren Instinkten folgen und hinausrennen. Sie bremste den Gedanken. Es gab kein Zurück – um seinetwillen.
»Natürlich reicht es aus. Es ist bloß einfacher mit dem ganzen Krimskrams.« Marla stellte zwei Teelichter auf den Boden und zündete die Dochte an. Sie hielt Anna die Blüte entgegen.
Ihr forsches Auftreten stimmte sie nachdenklich. War es für Marla so viel leichter? Ihre Hände zitterten, als sie die Finger um den Lavendel schloss, aber sie ignorierte das Empfinden.
»Setz dich hin.«
Anna gehorchte, ließ sich neben den Kerzen nieder und positionierte sich im Schneidersitz. Auf diese Weise konnte sie die zappeligen Beine stillhalten, die zuckten, als hätte eine Ameisenkolonie ihren Bau in die Glieder gebuddelt. Ihr Herz raste.
»Schließ die Augen.«
Marlas Anweisungen zu befolgen, war leichter, als selbstständig zu handeln. Sie konzentrierte sich auf die einzelnen Worte und versuchte, keine Minute in die Zukunft zu blicken. Schritt für Schritt. In der Schattenwelt hielten sich normalerweise die Seelen auf, die sich im Übergang befanden und auf der Schwelle zwischen Leben und Tod wandelten. Doch der Eintritt ins Zwielicht gelang dieses Mal nicht auf Anhieb.
»Konzentrier dich, du schaffst das. Wir haben schon Schlimmeres gemeistert.«
Anna ging in sich. Sie versuchte, die flackernde Grauzone zu erreichen und horchte auf ihr Herz, das für gewöhnlich die Melodie ihrer Gabe sang. Ihr Herz klopfte laut, aber die Stimme schummelte sich nicht, wie erhofft, zwischen die dröhnenden Schläge. »Ich komm nicht rein.«
»Du musst dich beruhigen. Versuch es wie beim allerersten Mal. Erinnerst du dich an den kleinen Punkt, den du dir damals vor dein geistiges Auge gerufen hast? Hol ihn hervor, er wird dich leiten.«
Sie erinnerte sich an den kleinen Stern, der den Übergang erleichterte. Im ersten Augenblick wollte sie spontan verneinen. Wenn sie behauptete, sich nicht zu erinnern, blies Marla die Sache vielleicht ab. Aber damit war niemandem geholfen. Anna atmete konzentriert und stellte sich ihren kleinen Punkt vor. Es funktionierte. Sie fokussierte den Stern, der ins Nirgendwo gehörte und nur in ihren Gedanken existierte. Wenn sie nur lang genug hinsah und ihn festhielt, begab er sich auf die Reise. Er würde sie durch ihr Blickfeld führen, an den Ort, den sie inzwischen liebte wie ein Zuhause. Hoffentlich fand sie Waltraud dort vor.
Anna zuckte zusammen. Es war keine gute Idee, an die alte Frau zu denken. Für eine Atemzuglänge verschwamm das
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