Teuflisch erwacht
hatte Anna diese Art von Gefühlen erst zum Leben erweckt? Würde Kiras Tod die Menschlichkeit der del Rossis hervorlocken?
Er seufzte tief, trat vor einen Stein und beobachtete, wie er über die Straße hüpfte. Er endete jäh vor einer hohen Toreinfahrt. Sebastian zuckte zusammen, als er sein Ziel erkannte. Die monströse Villa wirkte, als würde sie schlafen. Er betrachtete die riesige Fassade, die den Reichtum der Eigentümer erkennen ließ. Magier ließen es sich in jeder Beziehung gut gehen und schraken nicht davor zurück, auf großkotzige Weise mit ihrem Hab und Gut zu prahlen. Ein weiteres Indiz dafür, dass sie mehr fühlen mussten, als sie sich eingestanden. Warum gierten sie sonst nach Anerkennung? Ein sehr menschlicher Charakterzug, aber wenn man den Mythen Glauben schenkte, waren sie ja auch zur Hälfte Mensch. In ihnen schlief die Dunkelheit und die Gefahr brannte in ihren Adern, aber irgendwo zwischen diesen finsteren Strängen saß eine verkrüppelte Seele.
Sebastian schubste die Zweifel in den Strom seines magisches Blutes und beruhigte damit seine Nerven. Er schickte eine monströse Welle in seinen Verstand und die Glieder. Zärtlich züngelte sich die Dunkelheit durch seinen Körper, verrauchte in seinem Kopf. Natürlich würde er Antonio überzeugen. Er war ein Fingerless und wann hatte ein del Rossi je einem von ihnen das Wasser gereicht? Er atmete tief durch und setzte ein Gesicht auf, von dem er hoffte, dass es ernst wirkte. Mit einer raschen Bewegung betätigte er die Klingel. Einen Atemzug später surrte die Sprechanlage.
»Si?«, fragte eine junge Frauenstimme.
»Guten Morgen. Mein Name ist Sebastian Fingerless und ich komme meinen Schwiegervater in spe besuchen.« Er fand, dass er ruhig, routiniert und eine Spur gefährlich klang. Gut, so wollte er schließlich auch klingen. Die del Rossis sollten nicht vergessen, wer vor ihnen stand, selbst wenn er kam, um sein Beileid zu bekunden. Als das Tor unmittelbar aufgedrückt wurde, wunderte er sich. Er trat in den Innenhof und erkannte, dass Antonio bereits vor der Haustür stand. Sein Herz machte einen Satz und sein Puls klopfte bis in den Hals hinauf. Soviel zu dem, wer er war. Der weiße Kies knirschte unter seinen Schuhen, während er die Schritte nutzte, um die Nervosität zurück in den Käfig zu jagen.
»Sebastian, wie schön dich zu sehen«, grüßte Antonio und sah zum Tor, als erwartete er, dass Kira ihm folgte.
»Guten Morgen, Antonio. Ich komme allein.«
Sie schüttelten einander die Hände.
»Wie komme ich zu der seltenen Ehre?« Antonio deutete einladend ins Haus und Sebastian betrat ohne zu zögern den hellen Flur.
Gia stand auf dem Treppenabsatz. Sie erfüllte jedes Klischee einer Magierin. Sie war perfekt gestylt und blickte ihm fragend entgegen. Wann waren die del Rossis zu Frühaufstehern mutiert? Eine leise Alarmglocke klingelte hinter der Stirn, doch er ignorierte sie. Wenn er in Panik verfiel, würde er auffliegen.
»Sebastian?« Gia kam anmutig die Treppe hinunter und schloss ihn kurz in die Arme.
»Guten Morgen, Gia«, sagte er fest.
Antonio schloss geräuschvoll die Tür.
Die Härchen an seinem Arm richteten sich heimlich auf. Gut, dass er eine Jacke trug. Er war ein Fingerless und ein Fingerless fürchtete sich nicht vor einer Lüge. Ein dunkler Blitz glättete sein gesträubtes Fell und hauchte seiner Selbstüberzeugung neues Leben ein. »Ich muss mit euch sprechen.«
»So, musst du das?«, hakte Antonio nach. Sein Unterton klang scharf. Was zur Hölle fiel ihm ein, sich dermaßen respektlos zu verhalten?
»Es geht um Kira.« Sebastian verzog das Gesicht und hielt Antonios Blick stand. Er hatte es sich leichter vorgestellt. Aber nicht nur ihr unterschwelliges Misstrauen bereitete ihm Übelkeit. Die del Rossis taten ihm leid. Verdammt, wieso berührte es ihn? Kira war tot. Schön, es war ihr Pech, nicht seins.
»Das trifft sich ganz gut, wir möchten auch mit dir sprechen. Aber wie unhöflich von uns. Bitte folge mir in den Salon. Ich werde Greta bitten, Kaffee zu kochen.« Gia lächelte kalt. Es war dasselbe Lächeln, das Kira aufgesetzt hatte, wenn sie die Karten in der Hand hielt.
Sie wissen es. Wie ein Donnerschlag, der vom zornigen Himmel hallte, polterte ihm die Gewissheit in den Verstand.
Antonio klopfte ihm auf die Schulter und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Salontür.
»Antonio, was ich zu sagen habe, duldet keinen Aufschub. Kira ist tot. Mein Vater hat es getan«, platzte er heraus
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