Teuflische List
sie ängstlich an.
Er hatte Angst, sie könnte ihn verlassen. Das war alles, wovor er sich jetzt noch fürchtete, da sie ja sonst alles getan hatte, was er wollte.
»Du bist nicht allein, Abigail«, sagte Silas. »Darum geht es doch, oder? Solange wir füreinander da sind, werden wir nie allein sein.«
»Komisch«, sagte sie niedergeschlagen. »Ich glaube nicht, dass ich mich je so allein gefühlt habe.«
Früh an diesem Abend rief Jules an.
»Hast du es schon gehört?« Sie klang aufgeregt.
»Ja«, antwortete Abigail.
»Ich habe es gerade im Standard gelesen«, sagte Jules. »Ich kann es nicht glauben.«
Abigail schluckte. Sie musste sich die Worte förmlich herauszwingen.
»Die Polizei war hier.«
»O Gott«, sagte Jules.
»Ich war eine der Letzten, die ihn lebend gesehen haben«, sagte Abigail.
»Ich hab mir meine eigenen Gedanken gemacht.« Jules hielt kurz inne; sie hatte den Schreck noch immer nicht ganz verwunden. »Es muss geschehen sein, kurz nachdem du gegangen bist. Du lieber Himmel. Stell dir vor, du wärst bei ihm gewesen!«
»War ich aber nicht«, sagte Abigail. Ihre Stimme klang rau.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Jules. »Ist Silas da?«
»Nein. Er ist im Studio.«
Mit schmerzerfülltem Gesicht war er kurz nach ihrem letzten Gespräch zur Arbeit gefahren.
»Soll ich rüberkommen?«, bot Jules an.
»Es geht mir gut.« Abigail blickte auf ihre linke Hand hinunter und sah, dass ihre Fingernägel sich wieder in den Handteller bohrten, machte aber keinerlei Anstalten, die Faust zu öffnen. »Du hast Olli, und Silas wird bald wieder zu Hause sein.«
»Ich könnte Olli mitbringen«, sagte Jules, »wenn du willst.«
»Nein«, erwiderte Abigail. »Danke, aber es geht mir gut, Jules.«
»Es tut mir nur so Leid.« Sie war sehr mitfühlend. »Ich kannte ihn zwar nicht so gut wie du, aber ich habe ihn wirklich gemocht.«
»Ich auch.« Abigail traten wieder Tränen in die Augen. Sie wünschte sich sehnlichst, endlich auflegen zu können, um wenigstens eine Weile damit aufhören zu können, dieses Netz aus Lügen zu spinnen.
»Hast du Charlies Schwester je kennen gelernt?«, fragte Jules.
»Nein.« Abigail erinnerte sich verschwommen, dass er sie ein-, zweimal erwähnt hatte.
»Er hat mir nach der Taufe von ihr erzählt«, sagte Jules. »Ich glaube, sie heißt Maggie.« Sie dachte zurück. »Maggie Blume. Sie hat eine Kunstgalerie in Swiss Cottage. Charlie hat gesagt, er vergöttere sie.«
Abigail legte auf. Ihre Hand zitterte unablässig, so sehr sie sich auch dagegen wehrte.
Sekunden später klingelte es erneut. Einen Augenblick lang glaubte Abigail, schreien zu müssen, doch sie schrie nicht, und das Telefon klingelte weiter.
»Liebling, geht es dir wirklich gut?« Jules klang besorgt.
»Ja«, sagte Abigail. »Tut mir Leid.«
»Sei nicht dumm«, erwiderte Jules. »Du bist aufgeregt.«
»Mir geht’s gut«, sagte Abigail.
Das Verlangen zu schreien war verschwunden; an seine Stelle war eine tiefe Müdigkeit getreten.
»Wenn du nicht willst, dass ich jetzt rüberkomme … wie wäre es dann, wenn du morgen zu mir zum Abendessen kommst?«
»Ich weiß nicht.«
»Bei der Gelegenheit könntest du auch dein Cello wieder mitnehmen«, sagte Jules. »Oder ich könnte es dir vorbeibringen.«
»Gut, ich komme«, sagte Abigail.
Sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen. Ihr fiel einfach keine gute Entschuldigung ein, mit der sie sich hätte weigern können. Außerdem war die Vorstellung, Jules und Olli zu sehen, mit das Angenehmste, das sie sich im Augenblick denken konnte.
Aber wie sollte sie längere Zeit mit Jules, ihrer Freundin – Silas’ Schwester – verbringen, ohne ihr zu sagen, was wirklich mit Charlie geschehen war?
Wider Erwarten erwies es sich als kinderleicht, einfach zu schweigen. Dass es ihr so leicht fiel, Jules anzulügen, ängstigte Abigail noch mehr, als der Polizei die Unwahrheit zu sagen. Und wie unendlich viel leichter war es doch, eine Zeit lang so zu tun, als wäre das Leben normal, anstatt über vorgetäuschte Raubüberfälle zu diskutieren oder Fragen über schon lange begrabene Väter zu stellen:
»Jules, hat Silas wirklich dabei geholfen, euren Vater im Garten zu begraben?«
Oder: »Silas hat angedeutet, dass du deinem Vater beim Übergang ins nächste Leben ein wenig zur Hand gegangen bist.«
Abigail saß am kalten Kamin in Jules’ Wohnzimmer. Asali kauerte neben ihr und schaute zu Jules, die es sich im Sessel bequem gemacht hatte
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