Teuflische List
Albtraum«, antwortete sie und stieg aus dem Bett.
»Möchtest du, dass ich dir etwas Warmes zu trinken mache?«, bot Silas an.
»Nein, danke«, sagte sie.
Sie kamen am nächsten Morgen, fünfzehn Minuten, nachdem Silas nach Crouch End gefahren war.
Abigail war schon seit über einer Stunde auf und angezogen. Sie hatte Silas’ Vorschlag abgelehnt, ihn zu begleiten, saß nun bei ihrer dritten Tasse Kaffee in der Küche und sammelte all ihre Kraft, um wieder hinauszugehen und sich erneut sämtliche Zeitungen zu kaufen.
Doch das war nun nicht mehr nötig.
Zwei junge Männer in dunklen Anzügen, einer mit dunklem, welligem Haar, der andere kahl geschoren, beide mit Polizeiausweisen und nüchternen Mienen.
Einer übernahm die Vorstellung und fragte, ob sie Abigail Allen sei. Er stellte sich als Detective Constable Lowe vom Central London AMIT vor. Dann nannte er Abigail den Namen seines Kollegen, doch sie hörte schon nicht mehr, was der Mann sagte. Es fiel ihr schwer genug, beim Anblick der beiden Polizisten nicht zusammenzubrechen. Sie waren zu ihr gekommen. Was sollte sie jetzt tun? Mein Gott, was sollte sie tun?
»Wir müssen mit Ihnen sprechen«, sagte der erste Mann. »Es geht um Ihre Beziehung zu Mr. Charles Nagy.«
»Was ist mit ihm?« Ihre Stimme klang tatsächlich normal.
Die erste Gelegenheit, die Wahrheit zu sagen, war damit bereits vertan.
Bitte für uns Sünder …
Es war schon Jahre her, seit Abigail zum letzten Mal das Ave-Maria gebetet hatte, allein oder in der Kirche. Selbst vor zwei Nächten, inmitten all des Schreckens, waren ihr die Worte nicht eingefallen; doch nun, angesichts dieser beiden Männer und der Entscheidung, die sie in den nächsten Augenblicken würde treffen müssen – in den nächsten Sekunden, da sie die erste Gelegenheit versäumt hatte –, erfüllte das Gebet plötzlich ihren Geist und sperrte alles andere aus.
Jetzt und in der Stunde unseres Todes …
Nicht ihres Todes. Charlies Todes.
Gegrüßet seiest du, Maria, voll der Gnade …
»Ms. Allen«, sagte Detective Constable Lowe.
Abigail starrte ihn und den anderen Mann an und bemerkte, dass sie im Wohnzimmer waren. Sie hatte die Männer vermutlich hereingebeten, konnte sich aber nicht daran erinnern.
»Ich fürchte, wir haben schlechte Nachrichten für Sie«, fuhr der Constable fort.
»Es sei denn, Sie haben es bereits gehört«, fügte der andere Mann hinzu.
Abigail blickte die Beamten mit leeren Augen an. All ihre Gefühle, das Entsetzen, die Angst, die Scham verbargen sich. Und … o Gott, sie waren da gewesen. »Sag das niemandem. Niemals.« Sie war es viel zu sehr gewöhnt, zu lügen, wenn es um den Tod ging.
Die Männer sagten, dass es vielleicht besser sei, wenn sie sich setzte. Dann berichtete der eine Mann ihr von Charlie, und neue, andere Worte hallten durch Abigails Kopf, keine Gebete diesmal:
Er hat es getan. Silas hat es getan. Mein Mann hat es getan.
»O Gott«, hörte sie sich sagen. »Der arme Charlie.«
»Wann haben Sie Mr. Nagy zum letzten Mal gesehen?«, fragte Detective Lowe.
Sie wussten davon, dachte Abigail plötzlich. Wenn sie es nicht wüssten, wären sie nicht gekommen.
»Vorgestern«, antwortete Abigail. »Am Sonntag.«
»Um welche Zeit?«, fragte der zweite Mann.
»Es war schon spät. Zuerst waren wir auf einer Taufe.« Sie schüttelte den Kopf und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Tut mir Leid, Sie wollten wissen, wann wir uns getrennt haben.« Kurz schloss sie die Augen und öffnete sie wieder. »Ich bin nicht sicher. Es muss ungefähr um halb elf oder elf Uhr abends gewesen sein.« Wieder schüttelte sie den Kopf. »An die genaue Zeit kann ich mich nicht erinnern, tut mir Leid.«
»Schon in Ordnung«, versicherte ihr Detective Lowe. »Es muss ein schlimmer Schock für Sie sein. Lassen Sie sich Zeit.«
»Charlie hat mir Pasta gekocht und mir dann ein Taxi bestellt.« Ihr Herz klopfte inzwischen so heftig, dass sie sicher war, die Männer müssten es hören. »Als das Taxi kam, hat er mich dorthin gebracht.« Erneut schloss sie kurz die Augen. »Das war’s. Als ich weggefahren bin, hat Charlie mir noch hinterhergewinkt.«
»Ja«, sagte Detective Lowe. »Das hat der Taxifahrer uns auch erzählt.«
»Oh«, sagte Abigail.
»Ist Ihnen auf der Straße jemand aufgefallen, als Sie und Mr. Nagy herausgekommen sind?«, fragte der zweite Beamte. »Hat irgendwo jemand gestanden? Oder ist jemand vorbeigekommen?«
Deine letzte Chance.
Sie schüttelte ihren Kopf.
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