Teuflische List
Schweigegelübde hin oder her. Und dann, nachdem sie dem Priester vom Vater erzählt hatte, der im Garten begraben lag, und von der Frau, die auf der Straße überfahren worden war, und von ihrem Meineid der Polizei gegenüber und ihrer Unfähigkeit, Silas zu verlassen, aus Angst, er könne Jules Ärger bereiten … Nachdem sie ihm alles erzählt hatte, sagte sie, dass ohnehin alles auf sie zurückfiel. Wenn man es genau betrachtete, war alles ihre Schuld.
Als der Mann hinter dem Gitter daraufhin wieder das Wort an sie richtete, glaubte sie etwas Neues in seiner Stimme zu hören.
Er hielt sie für verrückt.
Jules stellte sie zur Rede. Eines Morgens Anfang Juni tauchte sie mitsamt Olli in seinem Kinderwagen uneingeladen auf.
Das Baby strahlte. Seine Mutter nicht.
»Ich würde gern wissen …«
»Warum bist du nicht im Laden?«, unterbrach Abigail sie, um sie abzulenken.
»Drew kümmert sich darum.« Jules schob den Kinderwagen an Abigail vorbei, wartete, bis die Tür wieder geschlossen war, und schaute sich um. »Er ist nicht hier, stimmt’s?«
»Meinst du Silas?«
»Wen sonst?« Jules machte ein grimmiges Gesicht.
»Er ist in der Stadt bei einem Meeting der …«
»Mir ist vollkommen egal, wo er ist«, unterbrach Jules sie, »solange ich herausfinde, was ich getan habe, um solch eine Behandlung zu verdienen.«
»Jules, willst du nicht …«
»Und selbst falls ich etwas Schlimmes getan haben sollte«, fuhr Jules unbeirrt fort, »obwohl ich nicht die geringste Ahnung habe, was das sein könnte … was zum Teufel hat der kleine Olli getan, dass er genauso behandelt wird?«
»Nichts«, antwortete Abigail. »Oh, Jules, du hast nichts getan.«
»Was ist dann los mit dir, verdammt?«
Abigail schaute zu ihrer Freundin, der Schwester ihres Mannes, blickte ihr in die dunklen, herausfordernden Augen und wusste, was sie sich mehr als alles andere wünschte: alles mit ihr zu teilen. Sie sagte sich, dass Silas zwar gesagt haben mochte, Jules Ärger zu bereiten, doch das würde er seiner eigenen Schwester niemals antun, oder?
Aber ein Mann, der einen anderen töten konnte, nur weil der seine Frau umarmt hatte, war zu allem fähig.
Ich werde ihnen sagen, dass Jules zuletzt bei ihm gewesen ist.
Abigail blickte zu Olli hinunter, dem süßen, unschuldigen Baby.
Wenn sie es Jules erzählte, würde sie sich vielleicht besser fühlen – und wenn sie es der Polizei erzählte und Silas verließ, würde das ihr Gewissen wohl noch mehr erleichtern.
Nur, dass alles ihre Schuld war.
Aber nicht der Tod von Paul Graves, erinnerte sie sich.
Doch wenn sie es erzählte und Silas seine Drohung wahrmachte und Jules’ und Ollis Leben zerstörte, wäre das mit Sicherheit ihre Schuld.
Abigail blinzelte und blickte wieder zu Jules hinauf, die noch immer auf eine Antwort wartete.
»Komm rein«, sagte sie, »und trink einen Kaffee mit mir.«
Jules blieb, wo sie war. »Wirst du mir erzählen, was los ist?«
Abigail fühlte, wie sie der Mut verließ.
»Es gibt nichts zu erzählen«, sagte sie.
»In dem Fall …« Jules wendete Ollis Kinderwagen.
»Bitte, Jules, geh nicht.«
»Ich dachte, wir beide sind Freundinnen«, sagte Jules und öffnete die Tür.
»Sind wir auch«, sagte Abigail.
»Aber Freundinnen teilen ihre Probleme miteinander«, sagte Jules kühl.
Und schob den Kinderwagen hinaus.
Selbst zu den einsamsten Zeiten, bevor Silas in ihr Leben getreten war, hatte Abigail ihre Isolation nie als so schmerzhaft empfunden wie jetzt.
Seit Maggie Blumes Tod hatte er alles Mögliche getan, um ihr ein guter, fast perfekter Ehemann zu sein. Er war freundlich zu Abigail und bedrängte sie nicht. Er ließ ihr Zeit und Raum für sich selbst. Den restlichen Mai bis in den Juni hinein bestand er darauf, sie immer wieder auszuführen: in Restaurants, ins Kino und zweimal in ein Konzert. Er kaufte ihr Blumen und half ihr öfter als sonst bei der Hausarbeit. Als sie wieder in der Edison Road zu arbeiten begann, beriet er sich häufiger mit ihr als in der Vergangenheit, und oft lud er sie zu den interessanteren Shootings ein, auch wenn er ihre Hilfe eigentlich nicht brauchte.
Er fragte sie sogar, ob sie seine Hilfe bei der Suche nach einem neuen Manager wolle.
»Warum?«, fragte Abigail. »Damit du wieder eifersüchtig werden und einen neuen Raubüberfall inszenieren kannst?«
»Sei nicht dumm«, sagte er. »Wenn du nicht mehr professionell spielen willst, soll es mir recht sein, auch wenn ich es schade finde.«
»Schade
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